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Neue Heilwissenschaft

Louis Kuhne, Leipzig 1896

 

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Was sollen wir essen und trinken? Wesen der Verdauung.
Von Louis Kuhne.

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Welche Diät ist naturgemäss?



Da wir uns auf die Zunge und unseren natürlichen Instinkt nicht mehr so recht verlassen können, so müssen wir uns durch anderweitige genaue Beobachtungen und Schlüsse Gewissheit darüber verschaffen.

Die Frage ist in ihrem ganzen Umfange eine rein naturwissenschaftlich, und daher müssen wir zu ihrer Lösung auch den für die Naturwissenschaft einzig zulässigen Weg einschlagen, den sogenannten induktiven, oder den Weg vom besonderen zum allgemeinen. Es erwachsen uns dabei drei Hauptaufgaben: 1. Beobachtungen zu sammeln, 2. Schlüsse daraus zu ziehen, 3. Versuche anzustellen.

Das Beobachtungsgebiet ist freilich ein überaus grosses, und es ist dem Einzelnen ganz unmöglich, dasselbe in allen seinen Teilen kennen zu lernen. Wir müssen uns daher mit einigen Streifzügen begnügen, ungefähr so, wie wir es thun würden, um die Flora Deutschlands kennen zu lernen.

Das Gebiet, das bei einer wissenschaftlichen Begründung irgend einer Ernährungsform in Frage kommt, ist nun ein so bedeutendes, dass wir gleich von vornherein es möglichst beschränken müssen, denn es käme die Ernährungsweise sämtlicher organischer Wesen in Frage. Es wird aber für uns genügen, wenn wir, um Schlüsse ziehen zu können und um Grundlagen zu gewinnen für planmässige Versuche, namentlich die uns näher stehende, höhere Tierwelt ins Auge fassen. Alle die Sätze aber, über welche bereits Übereinstimmung herrscht und die klar aus der Beobachtung hervorgehen oder doch sicher bewiesen sind, will ich sofort, um alle Abschweifung zu ersparen, als bekannt voraussetzen.

Schon der erste Blick auf die Lebewesen zeigt uns, dass dieselben zur Unterhaltung des Stoffwechsels unbedingt Nahrung zu sich nehmen müssen, dass sie aber auch in der Wahl derselben ziemlich beschränkt sind. Die am Meeresufer auf dem salzhaltigen Boden üppig wachsende Pflanze, sie geht zu Grunde im Binnenlande; die Sandpflanze, die auf dem trockenen Kiesboden vortrefflich gedeiht, sie geht ein im Gartenlande; die Kulturpflanze, welche die reiche Humuserde liebt, sie verkümmert auf dem Sandboden.

Sehr bestimmt ausgeprägt finden wir die gleiche Erscheinung im Tierreiche, so bestimmt, dass man die Tiere nach der Ernährungsart klassifizieren kann. Schon dem Volke ist die Einteilung der Säugetiere in Fleisch- und Pflanzenfresser geläufig. Freilich ist dieselbe eine so oberflächliche, dass sie uns nicht genügen kann. Bei genauerer Betrachtung merken wir bald, dass wir die Insektenfresser von den eigentlichen Fleischfressern abgliedern müssen, und dass die Pflanzenfresser sich in Gras- und Fruchtfresser trennen (Herbivoren und Frugivoren). Ausserdem finden wir noch einige wenige Allesfresser (Omnivoren). Die Beobachtung muss sich bei den einzelnen Klassen wieder auf die Organe erstrecken, die der Ernährung dienen; an diesen drückt sich die Ernährungsart so bestimmt aus, dass man selbst am Skelett des Tieres dieselbe erkennen kann. Hauptsächlich wollen wir unser Augenmerk auf die Zähne, den Verdauungskanal, die Sinnesorgane, die das Tier zur Nahrung führen, sowie auf die Ernährung der Nachkommenschaft richten. Vier Streifzüge sind es also, die wir durch das schon begrenzte Gebiet unternehmen und an die wir unsere Beobachtungen knüpfen wollen.

Wir unterscheiden bekanntlich dreierlei Zähne: Vorder-, Eck- und Backzähne. Die Vorderzähne der Raubtiere sind wenig ausgebildet und werden so gut wie nicht verwendet, hingegen zeigen die Eckzähne eine ganz auffallende Länge. Sie überragen beträchtlich die anderen Zähne, und in der gegenüberliegenden Zahnreihe ist eine besondere Lücke nötig, um sie aufzunehmen. Sie sind spitz, glatt und etwas gebogen. Zum Kauen eignen sie sich in keiner Weise, wohl aber zum Erfassen und Festhalten der Beute. Wir bezeichnen sie bei den Raubtieren am besten als Fangzähne und können thatsächlich beobachten, dass die Raubtiere sie als solche gebrauchen. Zum Zerkleinern des Fleisches dienen ihnen aber die Backenzähne, die sämtlich auf der Kaufläche mit Spitzen versehen sind. Diese Spitzen stossen nicht aufeinander, sondern gehen dicht aneinander vorüber, sodass sie beim Zerkleinern des Fleisches nur die Muskelfasern mechanisch trennen. Eine Seitenbewegung des Unterkiefers würde dabei störend sein und ist den Raubtieren auch nicht möglich. Daraus geht hervor, dass dieselben keine Mahlbewegung ausführen können, und man kann z. B. täglich wahrnehmen, wie schwer es Hunden fällt, Brotstücke zu zerkleinern, sie müssen dieselben schliesslich beinahe unzerkaut verschlucken.

Bei den Grasfressern sind die Schneidezähne auffallend stark entwickelt; sie dienen ihnen zum Abbeissen des Grases und der Kräuter. Die Eckzähne sind gewöhnlich verkümmert, bisweilen auch zu Waffen ausgebildet, wie beim Elefanten. Die Backzähne sind oben breit und nur an der Seite mit Schmelz versehen. Sie eignen sich vorzüglich zum Zerdrücken und Zerreiben der Nahrung.

Frugivoren giebt es nicht allzuviele, für uns sind die menschenähnlichen Affen die wichtigsten. Wir finden bei den Fruchtessern das am gleichmässigsten ausgebildete Gebiss. Die Zähne haben annähernd dieselbe Höhe, und nur die Eckzähne ragen ein wenig über die anderen empor, doch viel zu wenig, um denselben Zweck erfüllen zu können wie bei den Raubtieren. Sie sind kegelförmig, aber oben stumpf und nicht glatt, so dass sie nie als Fangzähne dienen können, sie sind sichtlich für grosse Kraftleistungen bestimmt, und man weiss ja auch, dass die menschenähnlichen Affen mit diesen Zähnen Erstaunliches leisten können. Die Backenzähne dieser Tiere sind oben mit Schmelzfalten versehen, und da der Unterkiefer ausgiebige Seitenbewegungen gestattet, ist ihre Thätigkeit mit der von Mühlsteinen zu vergleichen. Besonders wichtig ist der Umstand, dass kein einziger Backenzahn oben Spitzen zeigt, dass also keiner zum Kauen des Fleisches bestimmt ist. Das ist um so bemerkenswerter, als die Omnivoren, zu denen eigentlich nur die Bären gezählt werden können, sowohl mit Spitzen versehene als auch breite Backenzähne besitzen. Natürlich haben diese auch die Fangzähne der Raubtiere, ohne die sie ja ihre Fleischnahrung nicht erlangen könnten, die Vorderzähne hingegen gleichen denen der Fruchtfresser.

Welchem dieser Gebisse gleicht nun das menschliche? Es kann kein Zweifel obwalten und lässt sich ohne Mühe erkennen, dass es fast vollständig dem der tierischen Frugivoren gleichgebildet ist. Der Eckzahn des Menschen erreicht nicht ganz die Höhe wie bei diesen und ragt sehr wenig oder gar nicht über die anderen Zähne hervor, aber das ist kein wesentlicher Unterschied. Man hat aus dem blossen Vorhandensein des Eckzahns oft geschlossen, dass der menschliche Körper auch für Fleischnahrung eingerichtet sei, aber dieser Schluss wäre nur berechtigt, wenn der menschliche Eckzahn denselben Zweck erfüllen könnte, wie der Eckzahn der Raubtiere, und wenn wir, wie die Bären, wenigstens einige entsprechende Backenzähne zum Zerkleinern des Fleisches hätten.

Die Schlüsse, die wir aus unseren Beobachtungen ziehen müssen, werden nun die folgenden sein: 1. Das Gebiss des Menschen gleicht nicht dem der Karnivoren, folglich ist er kein Karnivor; 2. das Gebiss des Menschen gleicht nicht dem der Herbivoren, folglich ist er kein Herbivor; 3. das Gebiss des Menschen gleicht nicht dem der Omnivoren, folglich ist er kein Omnivor; 4. das Gebiss des Menschen gleicht fast vollständig dem der menschenähnlichen Frugivoren, folglich ist er höchst wahrscheinlich ein Frugivor.

Der oben genannte Fehlschluss wird vielfach noch in anderer Form angeführt und zwar in der folgenden: "Der Mensch ist dem Gebisse nach weder Karnivor noch Herbivor, sondern steht in der Mitte zwischen beiden, folglich ist er auch beides." Dass dieser Schluss vor dem Richterstuhl der Logik nicht bestehen kann, dürfte wohl kaum eines Nachweises bedürfen. Der Begriff Mittelstellung ist ein viel zu allgemeiner und unbestimmter, als dass er bei einer wissenschaftlichen Beweisführung verwendet werden könnte, nur in der Mathematik lässt sich eine bestimmte Vorstellung damit verbinden.

Treten wir nun unseren zweiten Streifzug durch das reiche Beobachtungsgebiet an, und lenken wir dabei unsere Aufmerksamkeit auf den Verdauungskanal der Tiere! Die Raubtiere haben einen kleinen, fast kugelrunden Magen, und der Darmkanal besitzt die 3—5fache Länge des Körpers, als Körperlänge den Abstand zwischen Rachenöffnung und Schwanzwurzel genommen. Die Grasfresser, besonders die Wiederkäuer, haben einen sehr ausgedehnten und zusammengesetzten Magen, und der Darmkanal erreicht die 20—28fache Körperlänge. Bei den Fruchtfressern ist der Magen etwas breiter als bei den Fleischfressern, und sie besitzen im Zwölffingerdarm einen Anhang, den man als zweiten Magen bezeichnen könnte. Die Länge des Darmkanals beträgt das 10—12fache der Körperlänge. Man findet nun in anatomischen Werken oftmals die Behauptung, der menschliche Darm besitze die 3—5fache Länge des Körpers, folglich sei er mehr zur Fleischspeise eingerichtet. Man zeiht hier die Natur eines grossen Widerspruchs, denn den Zähnen nach soll sie den Menschen nach der landläufigen Ansicht zum Omnivoren, dem Darm nach zum Karnivoren gebildet haben. Dieser Widerspruch löst sich aber sehr einfach. Man hat nämlich als Körperlänge des Menschen die Entfernung des Scheitels von der Sohle genommen und vergessen, dass man, den Vergleichsfällen entsprechend, nur den Abstand der Mundöffnung vom Ende des Rückgrats als solche gebrauchen kann. Der angeführte Schluss ist demnach ein Trugschluss. Die Länge des menschlichen Darmkanals beträgt je nach der Grösse des Individuums 5—8,5 m und der bezeichnete Abstand 50—80 cm, so dass die Division etwa 10 als Resultat ergiebt. So gelangen wir zum zweiten Male zu dem Schlusse: "Der Mensch ist ein Frugivor."

Lassen Sie uns nun unseren dritten Weg einschlagen und diesmal auf die Wegweiser zu unserer Nahrung, auf die Sinne achten. Namentlich sind es der Geruchs- und Gesichtssinn, welche die Tiere zu ihrer Nahrung führen und in ihnen zugleich das Verlangen nach derselben wecken. Findet das Raubtier die Fährte eines Wildes, so fangen die Augen an zu funkeln, es folgt eifrig der Spur, erhascht die Beute in kühnem Sprunge und leckt gierig das hervorspritzende Blut; alles das erregt in ihm sichtlich volle Befriedigung. Der Grasfresser dagegen geht ruhig an seinen Mitgeschöpfen vorüber und kann höchstens durch andere Umstände veranlasst werden, sie anzugreifen, nie wird ihn der Geruchsinn verleiten, Fleisch zu verzehren, und er lässt sogar seine natürliche Nahrung unberührt, wenn sie mit Blut bespritzt wurde. Hingegen führen ihn Geruchs- und Gesichtssinn zu Kraut und Gras, die dann auch seinem Geschmackssinn behagen. Ganz die entsprechenden Wahrnehmungen finden wir bei den Frugivoren, die durch ihre Sinne auf die Baum- und Feldfrüchte verwiesen werden.

Wie verhalten sich nun die menschlichen Sinnesorgane? Lockt uns je der Gesichtssinn und der Geruchsinn dazu, einen Ochsen zu töten? Wird ein Kind, das nie etwas vom Schlachten der Tiere gehört hat, selbst dann, wenn es schon Fleisch genossen hat, beim Anblicke eines Masttieres auf den Gedanken kommen: Das müsste einen Leckerbissen für dich geben? Nur wenn wir uns im Geiste die Brücke vom lebenden Tier bis zum Braten, wie er auf den Tisch kommt, herstellen, nur dann kommen uns derartige Gedanken, aber von Natur liegen sie nicht in uns.

Unsere Sinne empfinden das Töten selbst entschieden als etwas Abschreckendes, und das frische Fleisch will weder dem Geruch noch dem Gesicht behagen. Warum verlegt man denn die Schlachthäuser möglichst ausserhalb der Städte? Warum erlässt man in vielen Orten Verbote, das Fleisch unbedeckt zu tragen? Kann dasselbe thatsächlich eine naturgemässe Speise genannt werden, wenn Auge und Nase von ihm so sehr beleidigt werden? Vor dem Genusse muss es dem Geruchs- und sogar dem Geschmackssinne, wenn dieselben nicht bereits allzusehr abgestumpft sind, durch Würzen angenehm gemacht werden. Wie lieblich erscheint uns dagegen der Duft des Obstes, und es ist gewiss kein Zufall, dass Berichterstatter über Obstausstellungen fast regelmässig ihre Empfindung durch den einen Satz ausdrücken: "Beim Anblicke der Früchte läuft einem das Wasser im Munde zusammen." Ich kann noch hinzufügen, dass auch die Körnerfrüchte einen, wenn auch schwachen, so doch angenehmen Geruch besitzen, und dass sie auch roh gut schmecken. Ihre ganze Gewinnung und Zubereitung hat für uns nie etwas Abstossendes, und der Landmann wird nicht mit Unrecht der "glückliche" Landmann genannt. So müssen wir zum dritten Male den Schluss ziehen: "Der Mensch muss von Natur entschieden ein Frugivor sein."

Wenn wir auf unserm vierten Streifzuge die Vorkehrungen betrachten wollen, welche die Natur für die Forterhaltung der Art getroffen hat, so sind die einschlagenden Beobachtungen schon schwieriger. Allen Geschöpfen wird sofort nach dem Eintritt in das Leben eine Nahrung geboten, welche die rasche Weiterentwickelung begünstigt. Für den neugeborenen Menschen ist ohne Zweifel die Muttermilch die einzig natürliche Nahrung. Hier machen wir auf einmal die Bemerkung, dass eine Reihe Mütter ihren heiligen Pflichten nicht nachzukommen vermag, da ihr Organismus die Nahrung für das Kind nicht zu erzeugen im stande ist. Es ist dies besonders schlimm, da solchen Kindern von klein auf der rechte Maassstab für die sinnlichen Eindrücke verloren geht, denn keine künstliche Nahrung gleicht der natürlichen vollkommen. Unsere Beobachtungen zeigen uns sehr bald, dass die vorwiegend von Fleisch sich nährenden besseren Stände weit mehr darunter zu leiden haben und genötigt sind, draussen vom Lande, wo man sehr wenig Fleisch geniesst, sich Ammen kommen zu lassen. Diese speisen dann in der Regel auch von der Tafel ihrer Herrschaft, und nicht selten verlieren sie bald die Fähigkeit, am Kinde Mutterstelle zu vertreten. Auf Seeschiffen reicht man den stillenden Müttern Haferschleim, denn bei der vorwiegend aus Fleisch bestehenden Schiffskost versagen sonst ihre Brüste.

Diese Beobachtungen lassen uns den Schluss ziehen, dass das Fleisch wenig oder gar nichts für die Erzeugung der Muttermilch beiträgt.

Wir werden dadurch zum vierten Male zu dem Schlusse gedrängt, dass der Mensch von Natur auf Fruchtnahrung angewiesen ist.

Wenn wir richtig geschlossen haben, folgt aber mit Notwendigkeit, dass die meisten Menschen mehr oder weniger von ihrer natürlichen Nahrung abgewichen sind. Geschöpfe sind von ihrer natürlichen Nahrung abgewichen! Das klingt fast ungeheuerlich und erfordert zunächst noch weitere Begründung. Ist es denn möglich, dass auch andere Geschöpfe ihrer natürlichen Nahrung untreu werden können, und welche Folgen hat dies? Die Zwischenfrage müssen wir erst lösen ehe wir unseren Weg nach aufwärts fortsetzen.

Wir wissen wohl, dass Hunde und Katzen sich an Pflanzenspeise gewöhnt haben, sind aber auch im stande, Beispiele anzuführen, wie sich Tiere an die Fleischnahrung gewöhnen können. Es war mir vergönnt, einen höchst interessanten Fall zu beobachten. In einer Familie wurde ein junges Reh gross gezogen, welches bald Freundschaft mit dem im Hause lebenden Hunde schloss. Es sah nun diesen oftmals von der Fleischbrühsuppe fressen und machte bald Versuche, ihm darin Gesellschaft zu leisten. Anfangs wandte es sich regelmässig mit Zeichen des Widerwillens davon ab, wenn es nur die Zunge hineinbrachte: doch wiederholte es den Versuch, und nach einigen Wochen frass es lustig mit. Nach mehreren weiteren Wochen war es schon so weit, Fleisch selbst zu verzehren, und zuletzt zog es dasselbe seiner natürlichen Nahrung vor. Die Folgen blieben freilich nicht aus, es kränkelte bald und starb, ehe es ein Jahr alt war. Ich füge noch hinzu, dass das Tier nicht eingesperrt war, sondern im Garten und Walde umherspringen konnte.

Wir wissen ja auch, dass die frugivoren Affen in der Gefangenschaft leicht an Fleischkost zu gewöhnen sind, aber sie sterben auch in der Regel nach ein bis zwei Jahren an Lungenschwindsucht. Man schreibt dies zwar bis jetzt fast allgemein dem Klima zu; da aber die anderen Tropenbewohner recht gut bei uns gedeihen, so kann man wohl annehmen, dass die unnatürliche Nahrung die grösste Schuld trägt. Neuere Versuche bestätigen dies auch.

Es ist also sicher, dass die Tiere von ihrer natürlichen Nahrung abweichen können, und es wird hierdurch die Annahme, dass ein grosser Teil der Menschheit ebenso abgewichen ist, schon viel wahrscheinlicher. Wenn dem aber so ist, so müssen auch die Folgen für uns wahrnehmbar sein, es müssen sich ebenso sicher Krankheiten einstellen oder schon eingestellt haben.

Fragen wir die Menschen aufs Gewissen, wie viele von ihnen noch nie die Hilfe eines Arztes beansprucht haben, ich glaube, wir finden nur verschwindend wenige. Und wie viele giebt es denn, die den Tod an Altersschwäche sterben? Die Fälle sind so vereinzelt, dass die Tageblätter gewöhnlich Notiz von ihnen nehmen. Es sind thatsächlich verschwindend wenig Menschen zu finden, die keine Fremdstoffe in sich tragen. Im allgemeinen ist die mehr frugivor, wenn auch nicht ganz naturgemäss lebende Landbevölkerung immer noch glücklicher daran; wenn auch der Genuss. frischer Luft das seinige beiträgt, die Hauptrolle spielt doch die Nahrung. Dass die ungünstigen Gesundheitsverhältnisse des Menschen auch von anderen Faktoren mit abhängig sind, ist allerdings sicher, aber dass die Nahrung der wichtigste Faktor ist, kann man aus einem Vergleiche mit der Tierwelt erkennen. Die Stalltiere leben z. B. unter den ungünstigsten hygieinischen Verhältnissen, die man sich denken kann; sie sind genötigt, fortwährend die Gase zu atmen, die ihren Exkrementen entströmen und sind fast völlig an der freien Bewegung verhindert. Natürlich müssen sie infolgedessen krank werden, und man kann annehmen, dass das Schlachtvieh nie ganz gesund ist, aber so viele Krankheiten herrschen trotz dieser ungünstigen hygieinischen Verhältnisse doch nicht unter diesen Tieren als unter den Menschen, die in allen jenen Beziehungen viel besser für sich sorgen können und sorgen, Die Schuld muss also hauptsächlich an der Nahrung liegen.

Wir sind nun endlich dahin gelangt, die letzte Stufe zu betreten und durch Experimente die Haltbarkeit oder Unhaltbarkeit unserer Schlüsse zu beweisen. Namentlich zwei Einwände sind es, die durch dasselbe zugleich auf ihren Wert geprüft werden. Der eine ist der, dass der Mensch zufolge seiner höheren Organisation nicht denselben Bedingungen unterworfen sei, als die unter ihm stehenden Geschöpfe — und der andere, dass vielleicht durch den langen Gebrauch der Fleischkost der Körper sich dieser angepasst habe, etwa im Sinne der Darwinschen Anpassungslehre. Dieser zweite Einwand gliedert sich wieder in zwei Behauptungen, einmal dass das ganze Menschengeschlecht diesen Anpassungsprozess durchgemacht habe, und das andere Mal, dass wenigstens die Erwachsenen sich ihm nicht entziehen konnten.

Alle diese Fragen sind endgiltig nur durch Experimente zu beantworten und zwar durch Experimente an Kindern und an Erwachsenen. Diese Versuche sind aber bereits in Menge angestellt worden, und ich will die Resultate in kurzen Zügen vorführen. In einer Reihe Familien sind Kinder von klein auf ohne Fleisch ernährt worden, und ich habe es mir immer zur besonderen Aufgabe gestellt, die Entwickelung solcher zu beobachten. Ich kann getrost behaupten, dass die Versuche entschieden zu Gunsten der naturgemässen Diät ausgefallen sind. Die Kinder entwickeln sich fast ausnahmslos körperlich und geistig vortrefflich, und zwar geistig nach allen drei Seiten hin, der des Verstandes, des Willens und des Gemütes.

Das führt mich noch dazu, ein besonderes Wort über die Erziehung zur Sittlichkeit hinzuzufügen. Die Frage ist in der Gegenwart geradezu eine brennende geworden, und Klagen über Unsittlichkeit der Jugend sind etwas Alltägliches. Was ist denn nun der Hauptfeind der Moral? Man frage nur die Priester aller Religionen und alle Philosophen und Sittenlehrer und wird immer wieder dieselben Antworten erhalten: "Die sinnlichen Leidenschaften!" Man gab sich denn auch ausserordentliche Mühe, dieselben zu unterdrücken, benutzte aber meist naturwidrige Mittel, wie übertriebenes Fasten, Kasteien, Absperren in Klöster u. s. w., natürlich ohne genügenden Erfolg. Wie nun der Feldherr den Feind am raschesten und sichersten überwindet, wenn er ihn verhindert, sein Heer erst in Schlachtordnung aufzustellen, so auch der Erzieher. Sobald es ihm gelingt, die sinnlichen Leidenschaften in ihrer Entwickelung zu hindern, so ist der Hauptfeind der Moral beseitigt; ein wichtiges Mittel hierzu ist die Ernährung der Kinder durch reizlose, naturgemässe Kost. Die Experimente haben die Richtigkeit der Behauptungen erwiesen, und die Thatsache ist von so hoher Bedeutung, dass sie nicht genug betont werden kann.

Das Freibleiben von sinnlichen Leidenschaften und die Seelenruhe, die dadurch erzielt wird, ist zugleich eine sichere Grundlage für eine vorzügliche intellektuelle Bildung. Jeder Psychologe weiss, dass der Zustand der Befriedigung für geistige Thätigkeit, klares Denken und Urteilen entschieden der günstigste ist, und diesen Zustand herbeizuführen, dürfte auf keine Weise in dem Maasse erfolgen, als durch vegetarische Ernährung.

So gern ich die Gedanken hier weiter verfolgte, ich muss doch davon abbrechen, um Ihre Aufmerksamkeit nicht zu lange in Anspruch zu nehmen. Wir müssen ja noch die Experimente an erwachsenen Personen ins Auge fassen. Es liegen auch deren eine Menge vor, und wir Vertreter der naturgemässen Lebensweise stehen als Objekte derselben vor Ihnen. Welche Resultate wir erzielt haben, das sprechen wir wohl am deutlichsten dadurch aus, dass wir treue Anhänger dieser Lebensweise geworden und geblieben sind; dabei müssen Sie wohl bedenken, dass die meisten derselben nur durch schwere Krankheit dazu getrieben worden sind. Wenn diese nun froh sind, dass sie mit Hilfe derselben wieder leidliche Gesundheit erlangen konnten, so kann man natürlich nicht fordern, dass sie auch noch stets ein blühendes Aussehen gewinnen müssten; vielen gelingt dies ja noch, anderen aber nicht. Wenn z. B. ein Theodor Hahn im Alter von 29 Jahren am Rande des Grabes stand und die Ärzte eine Wiedergenesung für unmöglich hielten, und wenn nun derselbe bei naturgemässer Diät wieder ziemlich gesundete und noch weitere 30 Jahre leben konnte, so hat das Experiment doch wohl zu Gunsten derselben entschieden, und es berührt eigentümlich, wenn Gegner triumphierend ausrufen: "Seht, er ist nur 59 Jahre alt geworden!" Eine Reihe interessanter Fälle, wie auch verschiedene Ärzte Krankheiten mit Zuhilfenahme naturgemässer Diät heilten und heilen, hat Alfred v. Seefeld in seinem Schriftchen: "Altes und Neues über die naturgemässe Lebensweise" zusammengestellt.

Die neue arzneilose und operationslose Heilkunst hat die reizlose Ernährung als die naturgemässe für durchaus notwendig zu jeder gründlichen Kur befunden. Die Erfahrung hat auch stets bewiesen, dass die Erfolge immer raschere sind, sobald die strengste reizlose Diät befolgt wird. Alle diejenigen, welche sich nicht entschliessen können, den Fleischtöpfen zu entsagen und den Spirituosengenuss zu meiden, erzielen weit langsamere Heilerfolge, führen sie doch dem Körper immer wieder neue Fremdstoffe zu, die auch wieder entfernt sein wollen. Sie werden also die Anlage zu Krankheiten niemals beseitigen.

Leidlich Gesunde können die Arbeit ihrem Körper eher zumuten, wenn immerhin auch nicht zu ihrem Vorteil; wer aber gesund werden will, dessen Körper braucht alle Kraft zur Ausstossung der Krankheitsstoffe.

Die herrschende gemischte Kost macht es uns übrigens erklärlich, dass Krankheit und Siechtum allenthalben uns begegnen.

Nun fragen Sie aber bestimmter: Was sollen wir denn nun essen, und was sollen wir trinken? Was das Getränk anbetrifft, so muss ich nochmals zurückkehren zu unseren Beobachtungsgebieten. Wir finden ausser dem Menschen kein Geschöpf, das von Natur zur Löschung des Durstes eine andere Flüssigkeit als Wasser wählte. Bemerkenswert ist es dabei, dass die Tiere fast immer das fliessende Wasser aufsuchen und lieber aus dem Flusse oder Bache trinken, als aus der Quelle, die aus dem Fels sprudelt, und thatsächlich ist Wasser, welches von der Sonne beschienen wurde und über Kies dahinfloss, dem frischen Quellwasser vorzuziehen. Tiere, die saftige Nahrung geniessen, trinken übrigens sehr wenig, und auch der Mensch fühlt selten Durst, wenn er die saftige Frucht bei seiner Nahrung nicht vernachlässigt. Hat er aber das Bedürfnis zu trinken, so ist auch für ihn Wasser das einzig wahrhaft naturgemässe Getränk. Schon die mit Fruchtsaft versetzten Wässer veranlassen ihn leicht, reichlicher zu trinken als erforderlich, wenigstens dann, wenn sie stark mit Zucker versetzt sind. Wer Heilung von Krankheit sucht, der muss sich streng an das Getränk halten, das von Natur für uns bestimmt ist, und muss seinen Durst nur mit Wasser löschen.



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Dieses Buch ist ein altes Fachbuch, der Inhalt entspricht nicht dem aktuellen Stand der Medizin. Angegebene Therapien entsprechen höchstens dem Stand der Medizin zum angegebenen Druckdatum. Dasselbe gilt für eine ggf. angegebene Rezeptur für ein Medikament. Diese entsprechen nicht dem heutigen Stand der Medizin und sind unter Umständen sogar körperlich schädigend. Die Zubereitung von Rezepturen und die Anwendung derselben gehört in die Hände erfahrener Ärzte und Apotheker.
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