§245
Nachdem wir nun gesehen haben, welche Rücksicht man bei der homöopathischen Heilung auf die Hauptverschiedenheiten der Krankheiten und auf die besondern Umstände in denselben zu nehmen hat, so gehen wir zu dem über, was von den Heilmitteln und ihrer Gebrauchsart, so wie von der dabei zu beobachtenden Lebensordnung zu sagen ist.
§246
Jede, in einer Cur merklich fortschreitende und auffallend zunehmende Besserung ist ein Zustand der, so lange er anhält, jede Wiederholung irgend eines Arznei-Gebrauchs durchgängig ausschließt, weil alles Gute, was die genommene Arznei auszurichten fortfährt, hier seiner Vollendung zueilt. Dies ist in acuten Krankheiten nicht selten der Fall; bei etwas chronischen Krankheiten hingegen, vollendet zwar auch bei langsam fortgehender Besserung, zuweilen Eine Gabe treffend gewählter, homöopathischer Arznei die Hülfe, die dieses Mittel in solchem Falle seiner Natur nach auszurichten im Stande ist, in einem Zeitraume von 40, 50, 60, 100 Tagen. Aber theils ist dies sehr selten der Fall, theils muß dem Arzte, so wie dem Kranken viel daran liegen, daß, wäre es möglich, dieser Zeitraum bis zur Hälfte, zum Viertel, ja noch mehr abgekürzt und so weit schnellere Heilung erlangt werden könnte.
Und dieß läßt sich auch, wie neueste, vielfach wiederholte Erfahrungen mich gelehrt haben, recht glücklich ausführen, unter folgenden Bedingungen: erstens, wenn die Arznei mit aller Umsicht recht treffend homöopathisch gewählt war - zweitens, wenn sie hoch potenzirt, in Wasser aufgelöst und in gehörig kleiner Gabe in, von der Erfahrung als die schicklichsten, ausgesprochenen Zeiträumen zur möglichsten Beschleunigung der Cur gereicht wird, doch mit der Vorsicht, daß der Potenz-Grad jeder Gabe von dem der vorgängigen und nachgängigen Gaben um Etwas abweiche, damit das, zur ähnlichen Arzneikrankheit umzustimmende Lebensprincip, nie zu widrigen Gegenwirkungen sich aufgeregt und empört fühlen könne, wie bei unmodificirt erneuerten Gaben, vorzüglich schnell nach einander wiederholt, stets geschieht *.
* Was ich, um diese widrigen Reactionen der Lebenskraft zu verhüten, in der fünften Ausgabe des Organons zu diesem Paragraph in einer langen Anmerkung sagte,war alles, was meine damalige Erfahrung mir gestattete; seit den letzten 4, 5 Jahren aber, durch mein, seitdem abgeändertes, neues, vervollkommtes Verfahren, sind alle diese Schwierigkeiten völlig gehoben. Dieselbe wohlgewählte Arznei kann nun täglich und zwar Monate lang, wo nöthig, fortgebraucht werden; und zwar so, daß wenn der niedre Potenz-Grad binnen einer oder zweier Wochen verbraucht ist, (denn bei der, nachstellend gelehrten, neuen Dynamisations-Weise, fängt der Gebrauch mit den untersten Graden an) man bei Behandlung chronischer Krankheiten, in gleicher Art zu den höheren Graden übergeht.
§247
Ganz dieselbe, unabgeänderte *
* Man durfte daher von der, selbst bestens homöopathisch gewählten Arznei, z. B. ein Kügelchen von demselben Potenz-Grade, was zum ersten Male so wohl bekommen war, dem Kranken nicht bald darauf zum zweiten, dritten Male trocken einnehmen lassen, und wenn man von der in Wasser aufgelöseten Arznei, deren erste Gabe so wohl gethan, eine gleiche, selbst kleinere Gabe zum zweiten, dritten Male aus der ruhig da stehenden Flasche genommen und sie dem Kranken eingegeben hatte, selbst nach Zwischenräumen von ein paar Tagen, so bekam ganz dieselbe Arznei dem Kranken doch nicht wieder wohl, man mochte sie nun bei ihrer ursprünglichen Bereitung mit 10 Schüttelschlägen, oder wie ich, um diesen Nachtheil zu vermeiden, später vorschlug, selbst nur mit 2 Schüttelschlägen potenzirt gehabt haben; und zwar bloß aus oben angeführten Gründen.
Aber bei Modificirung jeder Gabe in ihrem Dynamisations-Grade, wie ich hier lehre, findet kein Anstoß statt, selbst bei öfterer Wiederholung der Gaben, und wäre die Arznei auch noch so hoch, mit noch so vielen Schüttel-Schlägen potenzirt worden. Man möchte fast sagen, daß erst unter mehreren verschiednen Formen angewandt, auch die best gewählte, homöopathische Arznei dem Lebensprincipe die krankhafte Verstimmung am besten entziehen und bei chronischen Krankheiten in ihm auslöschen könne.
Gabe Arznei, selbst nur einmal, geschweige viele Male nach einander (und, wenn die Cur nicht verzögert werden soll, in kurzen Zeiträumen) zu wiederholen, bleibt ein unausführbares Vorhaben. Das Lebensprincip nimmt solche ganz gleiche Gaben nicht ohne Widerstreben an, das ist, nicht ohne andere Symptome der Arznei laut werden zu lassen als die, der zu heilenden Krankheit ähnlichen, weil die vorige Gabe schon die von ihr zu erwartende Umstimmung des Lebensprinzips vollführt hatte, eine zweite, an Dynamisation ganz gleiche, unveränderte Gabe derselben Arznei daher ganz dasselbe auf das Lebensprinzip nicht mehr auszuführen vorfindet. Nun kann der Kranke durch eine solche unabgeänderte Gabe nur noch anders krank, im Grunde nur kränker werden als er schon war, indem jetzt nur diejenigen Symptome derselben Arznei zur Wirkung übrig bleiben, welche für die ursprüngliche Krankheit nicht homöopathisch sind, also kann auch kein Schritt vorwärts zur Heilung, sondern nur wahre Verschlimmerung des Kranken erfolgen. Sobald man aber die folgende Gabe jedesmal in ihrer Potenz um etwas abändert, das ist, etwas höher dynamisirt, (§. 269., 270.) so läßt das Kranke Lebensprinzip sich unbeschwert ferner durch dieselbe Arznei umstimmen (sein Gefühl von der natürlichen Krankheit ferner vermindern) und so der Heilung näher bringen.
§248
Zu dieser Absicht wird die Arznei-Auflösung *
* In 40, 30, 20, 15 oder 8 Eßlöffeln Wasser mit Zusatz von etwas Weingeist oder einem Stücke Holzkohle, um die Auflösung unverdorben zu erhalten. Nimmt man Holzkohle, so läßt man sie an einem Faden in der Flasche hängen, und zieht sie jedesmal nur heraus, wenn die Flasche geschüttelt werden soll. Die Auflösung des Arznei-Kügelchens (denn mehr als Ein Kügelchen braucht man von einer gehörig dynamisirten Arznei selten dazu) in einer sehr großen Menge Wassers, kann man dadurch ersetzen, daß man von einer Auflösung z. B. in nur 7, 8 Eßlöffeln Wassers, nach vorgängigem, starkem Schütteln der FIasche, einen Eßlöffel in ein Trinkglas Wasser (von etwa 8, 10 Eßlöffel Inhalt) gießt, letzteres mehrmals stark umrührt und dem Kranken hievon die bestimmte Gabe eingiebt. Wenn der Kranke ungewöhnlich erregbar und empfindlich ist, so nimmt man aus dem, so stark umgerührten Glase, einen Thee- oder Kaffee-Löffel voll, den man in ein zweites Trinkglas Wasser stark einrührt, um davon dem Kranken einen Kaffeelöffel (oder etwas mehr) einzugeben. Es giebt Kranke von so hoher Erregbarkeit, daß man für sie ein drittes oder viertes Trinkglas zu gehöriger Verdünnung der Arznei-Auflösung, auf ähnliche Weise bereitet, anzuwenden nöthig hat. Jeden Tag nach dem Einnehmen schüttet man das so bereitete Trinkglas (oder die mehreren) weg, um es jeden Tag von Neuem zu bereiten. Das Streukügelchen in hoher Potenz wird am besten in einem Pülverchen zerquetscht, was ein paar Gran Milch-Zucker enthält, welches der Kranke dann nur in die, zur Auflösung bestimmte FIasche zu schütten braucht, um es in der bestimmten Menge Wasser aufzulösen.
vor jedem Male Einnehmen (mit etwa 8, 10, 12 Schüttel-Schlägen der Flasche) von Neuem potenzirt, wovon man den Kranken Einen, oder (steigend) mehrere Kaffee- oder Thee-Löffelchen einnehmen läßt, in langwierigen Krankheiten täglich, oder jeden zweiten Tag, in acuten aber, alle 6, 4, 3, 2 Stunden, in den dringendsten Fällen, alle Stunden und öfter. So kann in chronischen Krankheiten, jede richtig homöopathisch gewählte Arznei, selbst die, an sich von langer Wirkungs-Dauer, in täglicher Wiederholung Monate lang eingenommen werden, mit steigendem Erfolge. Ist aber die Auflösung (in 7, 8, oder in 14, 15 Tagen) verbraucht, so muß zu der folgenden Auflösung derselben Arznei - wenn ihr Gebrauch noch angezeigt ist - ein, oder (obwohl selten) mehre Kügelchen von einem andern (höhern) Potenz-Grade genommen werden, womit man so lange fortfährt, als der Kranke noch immer mehr Besserung davon spürt, ohne eine oder die andre, nie im Leben gehabte bedeutende Beschwerde davon zu erleiden. Denn wenn dieß sich ereignet, wenn der Rest der Krankheit in einer Gruppe abgeänderter Symptome erscheint, dann muß eine andre, jetzt mehr homöopathisch angemessene Arznei, an der Stelle der letztern gewählt, aber auch in ebenso wiederholten Gaben angewendet werden; doch nur auf gedachte Weise, das ist, nie ohne die Auflösung, bei jedesmaliger Gabe, durch gehörig starkes Schütteln um etwas zu modificiren, - in ihrem Potenz-Grade abzuändern, und so um etwas zu erhöhen. Zeigen sich hingegen bei fast täglicher Wiederholung der völlig homöopathisch passenden Arznei, zu Ende der Cur einer chronischen Krankheit, sogenannte (§. 161.) homöopathische Verschlim- merungen, so daß der Rest der Krankheits-Symptome sich wieder etwas zu erhöhen scheint (indem die, der ursprünglichen Krankheit so ähnliche Arznei-Krankheit, nun fast noch allein laut wird), dann müssen die Gaben entweder noch mehr verkleinert, und auch in längern Zeiträumen wiederholt, oder auch wohl mehrere Tage ganz ausgesetzt werden, um zu sehen, ob die Genesung keiner arzneilichen Hülfe mehr bedürfe, wo dann auch diese, bloß vom Ueberfluß der homöopathischen Arznei herrührende Schein-Symptome ebenfalls bald von selbst verschwinden und ungetrübte Gesundheit zurück lassen. Bedient man sich zur Cur bloß eines Fläschchens, (etwa Ein Quentchen verdünnten Weingeistes enthaltend, worin ein Kügelchen von der Arznei durch Schütteln aufgelöst sich befindet) worin täglich, oder alle 2, 3, 4 Tage gerochen werden soll, so muß auch dieses vor dem jedesmaligen Riechen 8, 10 Mal stark geschüttelt worden sein.
§249
Jede für den Krankheits-Fall verordnete Arznei, welche im Verlaufe ihrer Wirkung neue, der zu heilenden Krankheit nicht eigenthümliche und zwar beschwerliche Symptome hervorbringt, ist nicht vermögend wahre Besserung zu erzeugen *
* Da nach allen Erfahrungen, fast keine Gabe einer hoch potenzirten, specifisch passenden, homöopathischen Arznei bereitet werden kann, welche zur Hervorbringung einer deutlichen Besserung in der angemessenen Krankheit zu klein wäre (§. 161., 279.), so würde man zweckwidrig und schädlich handeln, wenn man, wie von der bisherigen Curmethode geschieht, bei Nicht-Besserung, oder kleiner Verschlimmerung, dieselbe Arznei, in dem Wahne, daß sie ihrer geringen Menge (ihrer allzu kleinen Gabe) wegen nicht habe dienlich sein können, wiederholen oder sie wohl gar noch verstärken wollte. Jede VerschIimmerung durch neue Symptome - wenn in der Geistes- und Körper-Diät nichts Böses vorgefallen ist - beweiset stets nur Unangemessenheit der vorigen Arznei in diesem Krankheitsfalle, deutet aber nie auf Schwäche der Gabe.
und nicht für homöopathisch gewählt zu halten; sie muß daher sobald als möglich, entweder wenn diese Verschlimmerung bedeutend war, erst durch ein Antidot zum Theil ausgelöscht werden **,
** Dem wohl unterrichteten und gewissenhaft behutsamen Arzt, kann nie der Fall vorkommen, daß er nöthig hätte, ein Antidot in seiner Praxis zu geben, wenn er, wie er soll, in der kleinst möglichen Gabe seine wohl gewählte Arznei zu brauchen anfängt; eine eben so kleine Gabe der besser ausgewählten bringt alles wieder in Ordnung.
ehe man das, genauer nach Wirkungs-Aehnlichkeit gewählte, nächste Mittel giebt, oder bei nicht allzu heftigen widrigen Symptomen muß letzteres sogleich gereicht werden, um die Stelle jenes unrichtig gewählten zu ersetzen.
|
|