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Hygiene des Geschlechtslebens

Max von Gruber, Bücherei der Gesundheitspflege Band 13, 5. Auflage, Stuttgart 1912

 

Kapitel 1: Die Befruchtung.
Von Professor Dr. Max von Gruber.


1. Kapitel: Die Befruchtung.



Damit es bei den Organismen mit geschlechtlicher Fortpflanzung zur Entstehung eines neuen Individuums komme, ist es notwendig, daß das weibliche Ei durch den mannlichen Samen befruchtet werden Der Samen verdankt seine Fähigkeitzu befruchten, winzig kleinen Körperchen, die massenhaft in ihm enthalten sind. Sie sind so klein. daß man sie nur unter dem Mikroskop bei starker Vergrößerung sehen kann. In jedem Tröpfchen menschlichen Samens sind Zehntausende dieser Körperchen enthalten, die sich, solange der Samen frisch und warm ist, lebhaft bewegen. Diese Körperchen heißen Samenfäden (Spermatozoen, Spermatosomen, Spermien). Man unterscheidet an ihnen drei Abschnitte, den sog. Kopf, das Mittelstück und den Schwanz oder Geißelfaden. Beim Menschen ist der ganze Samenfaden etwa 5/100 mm lang; sein Kopf, der etwa die Gestalt einer etwas platt gedrückten Birne hat, aber nur 3/1000 mm. Der größte Teil der Länge des Spermatosoms entfällt auf den feinen Geißelfaden, den Schwanz. Die Vorwärtsbewegung des Samenkörperchens erfolgt durch Schwingungen dieses Schwanzes. Mit seiner Hilfe kann es ziemlich weite Wege zurücklegen. In einer Sekunde kann ein Samenkörperchen bei gradlinig fortschreitender Bewegung einen Weg von 5/100 bis 15/100 mm zurücklegen, in der Stunde also einen Weg von 180-540 mm oder 18-54 cm. Bei Fischen und bei anderen Tieren, bei denen das unbefruchtete Ei nach außen abgesetzt und außerhalb des weiblichen Körpers befruchtet wird, kann man sehen, wie die Samenfäden alsbald das Ei aufzusuchen und zu umschwärmen beginnen. Auch die in die weiblichen Geschlechtsteile entleerten Samenfäden wandern mit Hilfe ihrer Geißelfäden dem Orte zu, wo sich das Ei befindet. Diese Bewegung der Samenfäden macht durchaus den Eindruck, als ob man mit eigenem Willen begabte Wesen vor sich hätte. Man hat die Samenfäden daher früher auch "Samentierchen" genannt; aber sie sind keine des selbständigen Lebens und der Vermehrung fähige Wesen, sondern sehr hinfällige Zellen, die bald absterben, wenn sie sich nicht mit dem Ei vereinigen können.

Das Ei ist eine kugelige Zelle, an der man die Hüllhaut (Eihaut, Eimembran), den Dotter und das Keimbläschen unterscheiden kann. Bei den großen Eiern der Vögel kann man diese drei Teile leicht mit unbewaffnetem Auge ernennen: Der Dotter fließt erst auseinander, wenn die starre Eihaut zerrissen wird; in der Mitte des weißen Keimfleckes gewahrt man das Keimbläschen. Bei den Vögeln ist die Eizelle noch vom Eiweiß und der Eischale umhüllt. Beim Menschen ist das unbefruchtete Ei so klein, daß es gerade noch mit freiem Auge gesehen werden kann (Durchmesser 0,18-0,20 mm) aber es ist immer noch riesig groß im Verhältnisse zu den Samenfäden. Der Kopf des männlichen Samenfadens nimmt nur etwa ein Hunderttausendstel des Raumes eines menschlichen Eies ein. Dafür werden aber die Samenfäden in den männlichen Geschlechtsdrüsen, den Hoden, in ungeheuer viel größeren Mengen gebildet als die Eier in den Eierstöcken, den Geschlechtsdrüsen des Weibes. Jm menschlichen Weibe reifen während der ganzen Zeit der Fortpflanzungsperiode etwa 400 Eier, während man schätzen kann, daß der Mann während der Dauer seiner Zeugungsfähigkeit etwa 400 Milliarden Samenfäden bildet, so daß also auf jedes reife Ei etwa 1000 Millionen Samenfäden kommen. So viele werden gebildet, damit wenigstens einige wenige ihr Ziel, das Ei, erreichen . Die ungeheure Mehrheit verfehlt ihr Ziel und geht zugrunde, denn selbst, wenn sie bis zum Ei gelangt sind, gelingt es als Regel nur einem e i n z i g e n , ins Innere des Eies zu gelangen.

Dort, wo die Befruchtung des Eies außerhalb des weiblichen Körpers erfolgt - die Seeigel liefern besonders geeignetes Beobachtungsmaterial -, kann man sehen, wie die Samenfäden, mit dem Kopfe voran, da und dort in die Eihaut eindringen. Sobald ein Samenfaden sich dem Dotter bis auf eine gewisse Entfernung genähert hat, baucht sich der Dotter ihm entgegen aus, so daß sich hier ein Wulst, der sog. Empfängnishügel, bildet. In diesen Wulst dringt der Kopf des Samenfadens ein, während sein Schwanz, der seinen Dienst geleistet hat, abgestoßen und aufgelöst wird. Hierauf zieht sich der Wulst wieder in die Masse des Dotters zurück, die Befruchtung ist vollzogen. In diesem Augenblick umkleidet sich der Dotter mit einem neuen Häutchen, das keinen zweiten Samenfaden in den Dotter eindringen läßt.

Um verstehen zu können, was nun im befruchteten Ei vor sich geht, ist es notwendig, daß wir weiter ausholen.

Jedermann weiß, daß die einzelnen Abschnitte des Körpers, der Rumpf, die Gliedmaßen, nicht in sich gleichartige Gebilde sind, sondern aus Teilen von sehr verschiedenartigem Aussehen und mit sehr verschiedenartigen Leistungen bestehen. So finden wir in den Gliedmaßen unter der Haut die roten weichen Muskeln, die harten Knochen, die weißen Stränge der Nerven, die Röhren der Blutgefäße usw. Wenn wir dann die einzelnen Organe betrachten, so finden wir, daß auch sie nicht durch und durch aus einer gleichartigen Masse bestehen, sondern wieder aus verschiedenen Geweben zusammengesetzt sind. Dies zeigt uns z. B. sofort eine aufmerksame Betrachtung des gekochten Fleisches, wie es auf unseren Tisch kommt. Auch die Gewebe wieder sind nicht homogene, in sich gleichartige Gebilde, sondern bestehen - wie wir allerdings erst bei der mikroskopischen Untersuchung erkennen können - aus winzig kleinen Elementarteilen, den sog. Zellen. Ebenso wie der Leib aller Tiere besteht der aller Pflanzen aus solchen Elementargebilden, die trotz mancher Verschiedenheiten im einzelnen der Hauptsache nach gleichartig gebaut sind. Manche pflanzliche und tierische Gewebe sehen zum Verwechseln ähnlich aus, so sehr stimmen sie in den Hauptzügen ihres Baues überein.

Die niedersten Pflanzen und Tiere bestehen aus einer einzigen Zelle. Hier leistet also die eine Zelle alle Lebensgeschäfte, wie die Aufnahme und Verdauung der Nahrung, die Ausscheidung des Unverdauten und der Abfälle des Stoffwechsels, die Wärmeerzeugung, Eigenbewegung, Fortpflanzung usw. Man nennt diese niedersten einzelligen Organismen, insofern sie tierischen Charakter haben, Protozoen. Im Gegensatze zu ihnen stehen die Metazoen, deren Leib aus einer Mehrheit von Zellen besteht. Das Metazoon ist gewissermaßen eine Kolonie von Protozoen. Je höher entwickelt das Tier ist, um so mehr unterscheiden sich seine einzelnen Zellen in ihrer Gestalt voneinander, um so verschiedener werden auch ihre Leistungen, um so vollkommener ist der Grundsatz der Teilung der Arbeit durchgeführt, so daß also nicht mehr alle, sondern nur ein Teil der Zellen mit der Nahrungsaufnahme und Verdauung beschäftigt ist, nur gewisse Zellen die Fortpflanzung besorgen usw.

Der alte Name "Zelle" bedeutet soviel als Kämmerchen, weil man anfangs dachte, daß jeder solcher Elementarorganismus mit eigenen, festen Wänden, einer Kapsel oder besonderen Haut umhüllt sei, wie man es bei vielen Pflanzenzellen tatsächlich findet. Heute wissen wir, daß durchaus nicht alle Zellen derartige Hüllen besitzen. Wir unterscheiden heute an jeder Zelle zwei Hauptteile: den Zelleib oder das Protoplasma und den Kern, ein bläschenartiges Gebilde, das meistens im Innern des Protoplasmas liegt und für gewöhnlich zu ruhen scheint, während ausschließlich vom Protoplasma die Aufnahme und Verdauung der Nahrung, die Bildung der Absonderungen, die Fortbewegung besorgt zu werden scheinen. Trtz der scheinbaren Ruhe ist aber der Kern an allen Vorgängen in der Zelle aufs engste beteiligt; er ist z.B. ganz unentbehrlich für die Verdauung der aufgenommenen Nahrung, für die Erhaltung und das Wachstum der Zelle, für die Bildung der Zellhaut, wo eine solche vorhanden ist. Man kann sagen, der Kern regiere das Leben der Zelle. Die Eigenart der Zelle hängt fast ganz von ihm ab.

Auch das Ei und der Samenfaden sind Zellen. Am Ei erkennen wir die Hauptteile der Zelle ohne weiteres, das Keimbläschen ist ihr Kern, der Dotter ihr Protoplasma, die Eihaut ihre Zellhaut. Der Samenfaden dagegen ist allerdings eine Zelle von sehr absonderlicher Form und mit einem Anhängsel, dem Schwanze. Aber auch bei ihm hat man den Kopf als Zellkern erkannt, und einen zarten Saum um den Kopf und das Mittelstück als eine, allerdings winzig kleine, Menge von Protoplasma. Ei und Samensaden unterscheiden sich dadurch sehr auffällig, daß das erstere in seinem Dotter ungeheuer viel Protoplasma besitzt, der letztere sehr wenig.

Alle Zellen vermehren sich durch Teilung. Dies gilt für die mehrzelligen wie für die einzelligen Organismen. Unser ganzer Körper ist aus der fortgesetzten Teilung der befruchteten Eizelle hervorgegangen. "Jede Zelle stammt wieder von einer Zellen , das ist eine der wichtigsten Feststellungen der Biologie.

Dieser Wachstums- und Vermehrungsprozeß der Organismen ist eines der dunkelsten Rätsel, vor denen die Naturforschung steht, vorläufig unfaßbar auch dort, wo, wie bei den Bakterien, das Ganze sehr einfach vor sich zu gehen scheint. Einfach scheint uns die Sache nur deshalb, weil wir bei diesen winzigen Wesen von den meisten Vorgängen nichts sehen. Wir sehen hier nur, wie die Zelle wächst, eine stäbchenförmige Zelle z.B. sich bis zu einem gewissen Grade verlängert, wie dann in der Mitte ihrer Länge eine Scheidewand, dann eine Einschnürung auftritt, diese letztere immer deutlicher wird, bis schließlich die zwei Hälften auseinanderfallen. Jede Hälfte sieht genau so aus wie die Mutterzelle, bevor sie sich in die Länge gestreckt hatte, und jede hat auch genau dieselben Eigenschaften wie die Mutterzelle und ist wie diese befähigt, sofort wieder zu wachsen und sich zu teilen. Unter günstigen Umständen erfordert eine solche Teilung nicht mehr Zeit als 20 Minuten, so daß bei Fortdauer günstigster Umstände durch fortgesetzte Teilung binnen 24 Stunden aus einem einzigen Bakterium 470 Trillionen werden könnten.*

*Zum Glück für die anderen Organismen mit geringerer Vermehrungsfähigkeit werden die Umstände rasch ungünstiger in dem Maße, als die Zahl der Nachkommen annimmt, so daß in der Wirklchkeit die Nachkommenschaft niemals in annähernd so raschem Tempo wächst. Immerhin macht uns ihre außerordentlich große Vermehrungsfähigkeit begreiflich, rwieso diese winzig kleinen Wesen rasch so gevaltige Veränderungen hervorrufen können, wie wir sie bei der Gärung und Fäulnis oder bei gewissen ansteckenden Krankheiten beobachten.


Bei den Bakterien vermag man nicht recht den Kern und das Protoplasma zu unterscheiden, und vermag man daher auch nicht zu sagen, wie sich beide bei der Teilung verhalten. Anders ist es bei jenen Zellen. bei denen Protoplasma und Kern deutlich voneinander geschieden sind. Hier hat man die allermerkwürdigsten Vorgänge kennen gelernt. Wir müssen uns mit dieser sog. indirekten Zellteilung der kernhaltigen Zellen genauer beschäftigen, weil wir nur durch sie zu einem tieferen Verständnis der Befruchtung vordringen können.

Wenn wir eine nicht in Teilung begriffene Zelle unter sehr starker Vergrößerung betrachten, erscheint uns der ruhende Kern als ein Bläschen, das in der Regel die Gestalt der Mutterzelle nachahmt. Wenn wir die Zelle künstlich färben, sehen wir, daß auch der Kern wieder ein zusammengesetztes Gebilde ist. Wir sehen in ihm ein oder mehrere rundliche Körperchen, die Kernkörperchen, und ein badeschwammartiges Gerüstwerk, das mit der deutlich erkennbaren Kernhaut zusammenhängt und den ganzen Kern durchzieht. Die Maschen der Waben dieses Gerüstwerkes sind vom Kernsafte ausgefüllt Eine der Substanzen, aus welchen das Gerüst besteht, hat die Eigenschaft, sich mit gewissen Farbstoffen stark zu beladen, wenn man die Zelle künstlich zu färben sucht: sie wird daher Färbsubstanz, Chromatin genannt.

Kommt es nun zur sog. indirekten Teilung oder Teilung durch "Mitose", so verändert sich zunächst der Kern in der auffallendsten Weise (s. Tafel 1 Fig. 1-l0). Das Chromatingerüste zieht sich zu einem zunächst vielfach gewundenen Strange zusammen, der weiter zusammenschrumpft, sich dabei verdickt und verkürzt und schließlich durch Querteilung in eine Anzahl von Teilstücken zerfällt, welche Chromosomen genannt werden. Die Zahl dieser Chromosomen ist bei den verschiedenen Qrganismenarten verschieden (4, 8, 16 und mehr, beim Menschen 24), aber für die Zellen jeder Tier- und Pflanzenart unveränderlich. Während es zur Bildung der Chromosomen kommt, löst sich der Kern als solcher auf, indem die Kernhaut verschwindet und der Kernsaft ins Protoplasma übertritt.

Die Chromosomen ordnen sich nun in einer Ebene, die ungefähr dem Äquator der Zelle entspricht, parallel hinterund nebeneinander. Dann spaltet sich jedes Chromosoma der Länge nach in zwei genau gleichgroße Hälften, und die Hälften jedes Chromosoms wandern nun in entgegengesetzter Richtung, die eine nach dem einen, die andere nach dem andern Pol der Zelle. Die Zahl der Chromosomen hat sich also genau verdoppelt, und in der Nähe jeden Poles versammeln sich genau so viele Chromosomen, als die Mutterzelle hatte, also 4, wenn diese 4 hatte, 8, wenn 8 usw. Um jede der Chromosomengruppen scheidet sich nun wieder Flüssigkeit aus dem Protoplasma aus, die Chromosomen fangen an Fortsätze auszusenden, die miteinander verwachsen, so daß wieder genau ein solches Gerüstwerk und eine genau solche Kernblase entstehen, wie sie die Mutterzelle hatte. Jnzwischen hat sich auch das Protoplasma am Äquator eingeschnürt. Es wächst hier eine Scheidewand quer durch die Mutterzelle durch, die beiden Hälften lösen sich allmählich voneinander los, und indem sie wachsen, werden sie mehr und mehr das genaue Abbild der Mutterzelle, aus der sie hervorgegangen sind.

Fig. 1. Ruhende Zelle, a) Zelleib oder Protoplasma; b) Ruhender Kern mit Chromatingerüste, Kernhaut und Kernsaft; c) Zentralkörperchen oder Centrosoma. -
Fig. 2. Zweiteilung des Centrosomas; beginnende Chromosomenbildung. -
Fig. 3. Die beiden Tochter-Centrosomen rücken gegen die Pole und umgeben sich mit Strahlenhöfen; das ganze Chromatin in (4) Chromosome vereinigt. -
Fig. 4. Fortschreiten der beiden Vorgänge Auflösung der Kernhaut, Aufsauagung des Kernsaftes. -
Fig. 5. Anordnung der Chromosomen in der sog. Äquatorialplatte, fädige Verbindungen mit den Centrosomen. -
Fig. 6. Längsteilung aller Chromosomen. -
Fig. 7 und 8. Wanderung der Tochter-Chromosomen zu den Polen: beginnende Theilung des Zelleibes. -
Fig. 9. Die Zweiteilung der Zelle vollzogen: Neubildung von Kernlhaut und Kernsaft um jede Chromosomengruppe, Schwinden der Strahlenöfe um die Centrosomen. -
Fig. 10. Übergang beider Tochter-Zellen in die Ruheform; Auswachsen der Chromosomen zum Chromatingerüste.

So umständlich der Vorgang der Kernteilung und Kernneubildung schon nach dem bisher Gesagten ist, in Wirklichkeit ist er noch weit verwickelter. Tatsächlich fängt der Teilungsvorgang damit an, daß sich ein besonderes, kleines Körperchen, das sich neben dem Kerne im Protoplasma der Zelle findet, das Zentralkörperchen oder Centrosoma, verdoppelt und die beiden Hälften an die Pole der Zelle auseinander rücken. Um jedes der beiden neuen Centrosomen bilden sich fädige Strahlen. Ein Teil dieser Fäden heftet sich an die Chromosomen an, und mit Hilfe dieser Fäden werden die Chromosomenhälften - wie wir's beschrieben haben - schließlich auseinandergehen und gegen die Pole hingeführt Tatsächlich regiert also das Zentralkörperchen oder Centrosoma den ganzen Teilungsvorgang. Aber so wichtig an sich dieser Umstand ist, wollen wir uns auf diese Andeutungen beschränken, die aus der Abbildung wohl verständlich werden dürften.

Für uns ist vor allem wichtig die Umwandlung des ruhenden Kernes in die Chromosomen, die Halbierung der Chromosomen und die sorgfältige Verteilung der Hälften auf die beiden Tochterzellen. Was durch den ganzen Vorgang erreicht wird, ist völlig klar: Qffenbar wird dadurch das Chromatin, die färbbare Substanz des Kernes, so gleichmäßig als irgend möglich auf die Tochterzellen verteilt. Offenbar ist diese gleichmäßige Verteilung des Chromatins Bedingung dafür, daß die Tochterzellen der Mutterzelle gleich werden.

Der geschilderte Vorgang der sog. indirekten Zellteilung verläuft in der ganzen Tier- und Pflanzenwelt in der Hauptsache völlig gleichartig: der überraschendste Beweis für die enge Verwandtschaft alles Lebendigen !

Genau so, wie wir's hier geschildert haben, verläuft nicht nur die Zellteilung beim Wachstum der mehrzelligen Organismen, der Metazoen, sondern auch die ungeschlechtliche Fortpflanzung der Protozoen. Zellteilung folgt bei ihnen in dieser Weise auf Zellteilung; ohne Ende, wenn nicht äußere Hindernisse eintreten.

Neben der ungeschlechtlichen Fortpflanzung sehen wir aber auch schon bei vielen Einzelligen geschlechtliche Fortpflanzung auftreten. Wir finden bei ihnen sogar mehrere Arten davon. Am einfachsten sind die Kopulation und die Konjugation.

Wir sehen, wie sich zwei von diesen einander völlig gleichenden einzelligen Wesen aneinanderlegen, wie ihre Kerne sich spalten, wie die Hüllhäute an der Berührungsstelle der beiden Zellen verschwinden und wie nun die Kernhälften zwischen den beiden Individuen ausgetauscht werden. Die Hälfte des Kernes des Individuums A wandert in das Individuum B und umgekehrt, worauf sich die beiden Individuen wieder voneinander trennen. Die beiden Kernhälften, die eigene und die fremde, vereinigen sich, und in jedem Individuum erfolgt nun eine neue Kernteilung und die Teilung der Mutterzelle in Tochterzellen, genau so, wie wir's oben geschildert haben.

Noch einfacher ist der Vorgang, wenn geradezu zwei Individuen zu einem verschmelzen. Die beiden Kerne legen sich aneinander, und nun erfolgt die Vermehrung, indem jeder der beiden aneinanderliegenden Kerne in zwei Hälften geteilt wird, so daß jede Tochterzelle den halben Kern der Elternzellen A und B erhält und ihre Tochterzellen wieder je ein Viertel von A und B usf.

Bei manchen Protozoen, bei den Metazoen und beim Menschen wird die Fortpflanzung, wie wir schon besprochen haben, durch bestimmte Geschlechtszellen besorgt. Es gibt dann, wie wir bereits wissen, bei jeder Art zweierlei Geschlechtszellen, die sich durch ihr Aussehen unterscheiden und verschiedene Leistungen zu verrichten haben, aber in der Hauptsache, nämlich bezüglich ihrer Kerne, gleichartig sind. Diese Geschlechtszellen werden in eigenartigen Mutterzellen, bei den höheren Pflanzen und Tieren in besonderen Organen, durch Zellteilung gebildet.

Im Gegensatz zu den anderen Zellen sind diese Geschlechtszellen in der Regel unfähig, für sich allein weiterzuleben, zu wachsen, sich zu teilen und zu vermehren. Es kommen aber Ausnahmen vor, und bei vielen höheren Wesen kann sich unter bestimmten natürlichen oder künstlich hergestellten Bedingungen auch aus dem unbefruchteten Ei ein neues Individuum entwickeln (sog. Parthenogenesis oder Jungfrauenzeugung, z.B. Entstehung der Drohnen aus den unbefruchteten Eiern der Bienen).

In der Regel gehen die Geschlechtszellen zugrunde, wenn sie nicht zur Vereinigung gelangen, den Samenfäden fehlt es an Protoplasma, den Eiern fehlt das Zentralkörperchen, das Centrosoma, das den ersten Anstoß zur Zellteilung gibt. Im reifen, befruchtungsfähigen Zustande haben Eizelle und Samenfäden auch nur halb so viel Chromatin und bilden auch nur halb so viele Chromosomen als die gewöhnlichen Körperzellen ihrer Spezies, da bei ihrer Reifung die Hälfte des ursprünglich vorhandenen Chromatins und die Hälfte der Chromosomen ausgestoßen worden ist. Dies tritt zutage, wenn die Befruchtung erfolgt ist, die beiden Geschlechtszellen sich vereinigt haben.

Nachdem der Kopf des Samenfadens vom Ei aufgenommen worden ist und die neugebildete Dotterhaut das Eindringen eines zweiten Samenfadens in das Innere des Eies unmöglich gemacht hat, sehen wir (s.TafelII, Fig.11-l7), wie der Kopf des Spermatozoons sich allmählich dem Kerne der Eizelle nähert. Sein Kern nimmt dabeian Größe zu und teilt sich dann in halb so viele Chromosomen als den Kernen des Organismus, von dem der Samenfaden abstammt, sonst zukommen; beim Menschen also in l2. Die Chromosomen wachsen durch Fortsätze zu einem feinen Netzwerk aus. Zugleich scheidet sich aus dem Protoplasma der Eizelle Flüssigkeit aus, so daß der Kern des Spermatozoons nun genau wie das Kernbläschen einer ruhenden Zelle aussieht, und dem Kerne der Eizelle zum Verwechseln ähnlich geworden ist. Es besteht kein Geschlechtsunterschied mehr zwischen den beiden Kernen. Auch ihre Größe ist in diesem Stadium vollkommen gleich. Während diese Veränderungen mit dem Kerne vorgehen, hat sich ein winziges Körperchen, das mit dem Kopfe des Spermatozoons in das Ei mit hereingebracht worden ist, mit einem Strahlenhofe umgeben und in zwei Körperchen geteilt. Jedes von diesen bekommt wieder einen Strahlenhof. Wir haben ohne Zweifel Gebilde vor uns, die genau den Zentralkörperchen oder Centrosomen der gewöhnlichen, in der Teilung begriffenen Zellen entsprechen. Während Eikern und Samenkern immer näher zusammenrücken, rücken die beiden Centrosomen auseinander. Die beiden Kerne fangen nun gleichzeitig an, Chromosomen zu bilden; der Kern des Eies genau so viele wie der Kern des Samen-körperchens, also ebenfalls nur halb so viele als die Kerne der betreffenden Tierart sonst bilden. Diese Chromosomen ordnen sich in einer Ebene zusammen und teilen sich der Länge nach. Jhre Hälften werden durch die Fäden, die von den Centrosomen ausgegangen sind, auseinander- und gegen die Pole hingezogen; kurz, alles Weitere verläuft genau so, wie mit dem einen Kerne einer gewöhnlichen Zelle, die sich in indirekter Zellteilung befindet. Der einzige wahrnehmende Unterschied ist nur der, daß die Hälfte der Chromosomen vom Eikern, die andere Hälfte vom Samenkerne herrührt, und daß jedem Pole angenähert die Hälfte der väterlichen und der mütterlichen Kernsubstanz zugeführt wird, also jede der beiden Tochterzellen einen Kern bekommt, der zur Hälfte vom Vater,zur Hälfte von der Mutter abstammt. Da der Spermakern wie der Eikern halb so viele Chromosomen bildet als die Kerne der Körperzellen, so liefern beide zusammen ebensoviel Chromatin und Chromosomen, wie in einer normalen Zelle vorhanden ist, und jede der beiden Tochterzellen bekommt daher ebenfalls die normale Menge davon.

Fig. 11. A) Ei. a) Eihaut mit ihren Porenkanälen (in den späteren Figuren weggelassen); b) Eidotter; c) ruhender Eikern; d) Empfängnishügel mit eingedrungenem Samenfaden. B) Samenfäden. e) Kopf; f) Mittelstück; g) Schwanz des Samenfadens. -
Fig. 12. Vordringen des Samenkerns gegen den Eikern; Auftreten des Centrosoms der Samenzelle mit Strahlenhof; Auflösung des Schwanzes. -
Fig. l3. Teilung des Samenfadenkopfes in zwei Chromosomen. -
Fig. l4. Fortscreitende Annäherung des Samenkerns an den Eikern unter Auseinanderrücken der Tochter-Centrosomen an die Pole; Auswachsen der Samenkern.Chromosomen zum Chromatingerüste. -
Fig. l5. Der Samenkern ist dem Eikern gleich geworden. -
Fig. 16. Samenkern und Eikern haben gleichzeitig (je 2) Chromosomen gebildet. -
Fig. 17. Längsteilung der väterlichen und mütterlichen Chromosomen in gleiche Hälften, und Verbindung der Hälften mit den Centrosomen. (Bezüglich der weiteren Entwicklung s.Fig. 7 bis 10)


Jede der beiden Tochterzellen teilt sich nun in derselben Weise weiter, und jedesmal erhält jede der bei der Teilung neu entstehenden Enkel-, Urenkel-, Ururenkel- usw. Zellen ungefähr gleichviel mütterliches und väterliches Chromatin; die Hälfte ihrer Chromosomen ist väterlicher, die andere Hälfte mütterlicher Herkunft. Die Kernsubstanz jeder Zelle unseres Körpers stammt also halb vom Vater, halb von der Mutter.

Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, daß während der fortgesetzten Teilungen und Wachstumsvorgänge die Gesamtmasse des Chromatins sich ganz ungeheuer vermehrt hat. Die Substanzen, aus denen das neue Chromatin gebildet wurde, stammen natürlich aus der Nahrung; aber sie werden zuerst chemisch umgewandelt, assimiliert, dem ursprünglichen Chromatin gleichgemacht, bevor sie Teile der Zellkerne werden. Die Art dieser Umwandlung und Formung wird in einer noch nicht genügend aufgeklärten Weise durch die Beschaffenheit der ursprünglich ererbten Chromatine bestimmt.

Die Kernsubstanz unserer Zellen ist die eigentliche Vererbungssubstanz; sie ist jedenfalls die Hauptträgerin der gesamten ererbten Eigenschaften. Das Protoplasma der Eizelle scheint hauptsächlich die Bedeutung eines Nahrungsstoffes für die wachsenden und sich teilenden Kerne zu haben, wenn es auch bei den verschiedenen Organismenarten chemisch und baulich ebenso spezifisch verschieden ist, wie die Kernsubstanz. So wird es begreiflich, daß im allgemeinen Vater und Mutter gleichgroßen Einfluß auf die körperliche und geistige Beschaffenheit ihrer Nachkommen ausüben, obwohl die Mutter das große Ei, der Vater den winzigen Samenfaden liefert. Von der ganzen großen Masse des Eies ist nur ein winziger Teil, nicht größer als der Kopf des Spermatozoons, Vererbungssubstanz.

Wie das Chromatin aller anderen Zellen ist auch das des Samenfadens und der Eizelle halb väterlichen, halb mütterlichen Ursprungs, und dies macht es wieder verständlich, daß Eigenschaften der Großeltern und viel fernerer Ahnen in den Enkeln wiederauftauchen können (Atavismus).

Wenn wir uns vor Augen halten, daß auch auf ungeschlechtlichem Wege Fortpflanzung durch anscheinend unbegrenzte Zeiten möglich ist (man denke nur an die ungeschlechtliche Teilung der Bakterien und anderer Protisten und an die Fortzüchtung vieler Pflanzen durch sog. Ableger!), so kommt man zu dem Schlusse, daß es die Aufgabe der geschlechtlichen Fortpflanzung, der Befruchtung sei, durch Vermischung der Keimstoffe einerseits individuelle Eigentümlichkeiten und Abnormitäten der Eltern auszugleichen und so die Gesamtheit der Anlagen und damit die Haupteigenschaften der Spezies unverändert zu erhalten, andererseits wieder neue Kombinationen von Anlagen und dadurch Mannigfaltigkeit unter den Individuen herzustellen.



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Dieses Buch ist ein altes Fachbuch, der Inhalt entspricht nicht dem aktuellen Stand der Medizin. Angegebene Therapien entsprechen höchstens dem Stand der Medizin zum angegebenen Druckdatum. Dasselbe gilt für eine ggf. angegebene Rezeptur für ein Medikament. Diese entsprechen nicht dem heutigen Stand der Medizin und sind unter Umständen sogar körperlich schädigend. Die Zubereitung von Rezepturen und die Anwendung derselben gehört in die Hände erfahrener Ärzte und Apotheker.
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29. 3. 2003
Der Erstbeschreiber des SARS, der 46-jährige italienische Arzt Carlo Urbani starb an derselben. Das Schwere Akute Respiratorische Syndrom wurde erstmalig im Februar 2003 beobachtet.

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