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Hygiene des Geschlechtslebens

Max von Gruber, Bücherei der Gesundheitspflege Band 13, 5. Auflage, Stuttgart 1912

 

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Kapitel 8: Die venerischen Krankheiten und ihre Verhütung.
Von Professor Dr. Max von Gruber.


8.Kapitel. Die venerischen Krankheiten und ihre Verhütung.



"Die Wollust der Kreaturen ist gemengt mit Bitterkeit." Der Leser dieser Blätter hat bereits die Wahrheit dieses Ausspruches vielfach bestätigt gesehen. Und noch haben wir von den schlimmsten Übeln, die der Geschlechtsverkehr bringen kann, gar nicht eingehender gesprochen.

Es gibt drei ansteckende Krankheiten, die hauptsächlich durch den Geschlechtsverkehr verbreitet werden und daher venerische Krankheiten genannt werden. Es sind diese der weiche Schanker, der Tripper und die Syphilis. Es ist möglich, sich mit allen drei Krankheiten auf einmal anzustecken.

Der weiche Schanker ist unter ihnen die am wenigsten gefährliche, ein Geschwür an den Geschlechtsteilen, beim Manne besonders häufig am Randwulste der Eichel, das bei frühzeitiger geeigneter Behandlung in der Regel bald heilt, ohne schlimme Folgen zu hinterlassen. Doch kann auch diese Krankheit ärger verlaufen. Insbesondere kommt es nicht selten zu Anschwellungen der Vorhaut, die so stark werden können, daß die Vorhaut nicht mehr über die Eichel vor- oder zurückgeschoben werden kann und äußerst heftige Schmerzen entstehen; ferner zu schmerzhaften und gefährlichen Vereiterungen der Lymphdrüsen in der Leistenbeuge, zu sog. Bubonen. Jedes kleinste Geschwürchen am Gliede darf übrigens schon deshalb nicht leicht genommen werden, weil es sich dabei um syphilitische Ansteckung handeln kann und der Laie dies nicht zu entscheiden vermag.

Mit großem Unrechte hält man vielfach den Tripper für eine ganz ungefährliche Krankheit. Die bakteriologischen Forschungen haben erst ins volle Licht gesetzt, wie gefährlich diese Krankheit dem Manne werden kann und ein wie schreckliches Leiden sie sehr häufig für die Frau ist.

Beim Manne tritt der Tripper als eine eiternde Entzündung der Schleimhaut des vorderen Teiles der Harnröhre auf. Er beginnt meistens am dritten Tage nach dem unreinen Beischlafe, seltener später, im Laufe der ersten oder der zweiten Woche, mit einem geringfügigen, wasserhellen Ausflusse aus der Harnröhre, Rötung der Lippen der Harnröhre und Brennen und Kitzeln in derselben. Der Ausfluß wird bald eitrig und nimmt rasch an Menge zu. Der Tripper ist immer sehr schmerzhaft, heilt aber in der Regel leicht, wenn der Erkrankte so rasch als möglich ärztliche Hilfe sucht. In böseren Fällen aber, oder wenn die Erkrankung vernachlässigt worden ist, greift die Entzündung in der Harnröhre weiter nach hinten und von der Schleimhaut in die darunterliegenden Gewebe. Bei der Ausheilung, die dann nur schwierig und oft erst nach Monaten und Jahren vollständig wird, kommt es häufig zu Narben, die sich mit der Zeit zusammenziehen (sogenannte Strikturen) und durch die Beschwerden, welche sie, namentlich beim Beischlafe und beim Harnlassen, beim Reiten und Fahren, aber auch schon bei ruhigem Sitzen veranlassen, das Leben für immer verbittern können. Die Tripperentzündung kann sich aber auch noch weiter ausbreiten: auf die Cowperschen Drüsen, auf die Vorsteherdrüse, auf die Blasendrüsen ("Samenblasen"), auf die Harnblase und durch die Harnleiter hinauf bis auf die Nieren. Gar nicht selten ergreift sie auch die Nebenhoden und führt dadurch zur Unfruchtbarkeit. Auch in entfernte Körpergegenden kann der Erreger des Trippers, der Gonokokkus, durch den Blutund Lymphstrom verschleppt werden und dort Entzündungen hervorrufen. So kommen Tripperentzündungen und Eiterungen in den Gelenken vor; so können Entzündungen der Herzklappen, des Rippenfells, des Rückenmarkes entstehen; schwere Leiden, die selbst zum Tod führen können. Noch viel gefährlicher als für den Mann ist der Tripper für die Frau. Auch bei ihr beginnt die Erkrankung in der Regel in der Harnröhre; sie verbreitet sich aber rasch weiter und ergreift zunächst hauptsächlich die Bartholinischen Drüsen und den Mutterhals. Sie hat eine große Neigung, in das innere Genitale einzudringen. Es kommt zu Entzündungen der Gebärmutter, der Eileiter, der Eierstöcke und des diese Organe umgebenden Bindegewebes. Ist die Entzündung einmal in diese tieferen Teile eingedrungen, dann ist sie meistens unheilbar. In der Regel ist sie nicht geradezu lebensgefährlich, obwohl Fälle vorkommen, wo Bauchfellentzündung verhältnismäßig rasch zum Tode führt und obwohl natürlich bei der Frau wie beim Manne entfernte lebenswichtige Organe ergriffen werden können. Aber stets ist die unheilbar gewordene Tripperentzündung der inneren Geschlechtsorgane ein Leiden, das der Frau durch beständige Schmerzen und Beschwerden das Leben verbittert, ihre Blüte und körperliche Leistungsfähigkeit vernichtet und ihr meistens die Fähigkeit, befruchtet zu werden, raubt.

Der Trippereiter bzw. der in ihm befindliche Gonokokkus ist äußerst ansteckend. Außer durch den Beischlaf kann er auch durch die Finger, durch mit frischem Eiter beschmutzte Kleidungsstücke und Instrumente übertragen werden. Wiederholt sind auch Ansteckungen kleiner Mädchen durch Wasser in Bassins, in denen Tripperkranke gebadet hatten, vorgekommen. Besonders muß betont werden, daß die Bindehaut des Auges sehr leicht mit dem Gonokokkus zu infizieren ist und die so entstehenden Augenentzündungen zu den allerbösartigsten gehören. Zu dieser Infektion der Augen kommt es besonders leicht, wenn das Kind bei der Geburt die Scheide und die Schamspalte der tripperkranken Mutter passiert. Es kommt so die berüchtigte ansteckende Augenentzündung der Neugeborenen zustande, welche in mehr als zehn Prozent der Fälle beiderseitiger Blindheit die Ursache der Erblindung ist!

Die Tripperkrankheit ist während ihrer ganzen Dauer ansteckungsfähig. Besonders schlimm ist dabei, daß die sichtbaren Krankheitserscheinungen bei einem lange bestehenden Tripper so unbedeutend werden können, daß selbst der Arzt sie leicht übersieht. Da der chronische Tripper in der Regel keine Schmerzen verursacht, kann der Mann glauben, er sei völlig genesen, und doch die Gattin beim ersten Beischlafe anstecken!

Der Tripper ist furchtbar verbreitet. In manchen Städten bekommen nach und nach alle Männer, welche außerehelichen Beischlaf ausüben, den Tripper, und auf manchen Frauenkliniken hat man festgestellt, daß der vierte Teil aller Patientinnen daran leidet. Etwa sieben bis zwölf Prozent der heutigen Ehen sind wegen dieser Krankheit unfruchtbar, sei es, daß der Mann, sei es, daß die Frau zeugungsunfähig geworden ist!

Noch schlimmer als der Tripper ist die dritte venerische Krankheit, die durch die Spirochaete pallida erzeugte Syphilis, da sie den ganzen Organismus ergreift. Man unterscheidet drei Stadien der Krankheit.

Etwa vierzehn Tage bis drei Wochen nach der Ansteckung bildet sich ein derbes, rotes Knötchen, das an der Oberfläche wund oder geschwürig wird. (Primäre Syphilis, harter Schanker.) Bald stellt sich auch Schwellung der benachbarten Drüsen ein.

Acht bis zehn Wochen nach Auftreten des Geschwürs kommt es zu Allgemeinerscheinungen: die Ernährung leidet, der Kranke wird nervös reizbar, unter Fieber und Kopffchmerzen bilden sich Ausschläge auf der Haut und auf den Schleimhäuten, besonders auf denen des Mundes und des Nachens; auch Knochenhautentzündungen sind sehr häufig. Nach einiger Zeit verschwinden diese Krankheitserscheinungen. Nach einer Pause von etwa sechs Monaten kommen sie aber wieder, und dieses Verschwinden und Wiederauftreten wiederholt sich nun durch zwei bis drei Jahre alle drei bis sechs Monate. Man nennt dieses Stadium der Krankheit sekundäre Syphilis. Während der harte Schanker im Beginne ein rein örtliches Leiden ist, krankt bei der sekundären Syphilis der ganze Körper. Nach der angegebenen Zeit, also nach zwei bis drei und vier Jahren vom Beginne der Krankheit an, tritt scheinbar Genesung ein. Aber oft zeigen sehr schwere Erkrankungen, die nach vielen Jahren auftreten, daß der Schein getrogen hat. Namentlich sind Erkrankungen des Zentralnervensystems, Geschwülste (sog. tertiäre Syphilis), Tabes (oder Rückenmarksdarre) und progressive Paralyse (oder fortschreitende Verblödung) solche späte Folgen der syphilitischen Ansteckung.*

* Bei der Entstehung der Paralyse scheint der Alkoholmißbranch eine wichtige Nebenrolle zu spielen.

Überaus häufig bleibt auch nach der definitiven Genesung von der Syphilis der Organismus dauernd geschädigt und geschwächt, so daß Syphilitiker im Durchschnitte eine erheblich kürzere Lebensdauer haben als Leute, welche niemals an Syphilis erkrankt waren. Insbesondere nehmen die Blutgefäße dauernden Schaden.

In der späteren Zeit gelten die Kranken nicht mehr als ansteckend, dagegen sind sie sicher ansteckend während des ganzen ersten und zweiten Stadiums und während des letzteren sowohl zur Zeit, wo Krankheitserscheinungen wahrnehmbar sind (Floreszenz), als in den Pausen (Latenz).

Der Ansteckungsstoff ist vorhanden in den Absonderungen der Geschwüre und Wunden, nässenden Stellen, in den abgestoßenen Oberhautschüppchen der erkrankten Hautstellen, während des sekundären Stadiums im Blute und in allen Absonderungen, besonders auch im Speichel und im Mundschleime.

Die Ansteckung erfolgt daher, wenn auch weitaus am häufigsten, so doch nicht allein beim Beischlafe, sondern auch von Mund zu Mund beim Kusse oder durch gemeinsam benutzte Eß- und Trinkgeschirre, Tabakspfeifen, Musikinstrumente u. dgl., bei kleinen Verletzungen direkt auf die Finger, Hände und andere Körperstellen, von der Brustwarze der Amme auf den Säugling und umgekehrt vom Säugling auf die Amme. Auch bei kleinsten Operationen, z.B. bei der Impfung, kann durch infizierte Instrumente die Übertragung erfolgen.

Von den Eltern kann auch direkt bei der Zeugung Syphilis auf die Nachkommenschaft vererbt werden; ein gesund erzeugtes Kind kann im Mutterleibe infiziert werden, wenn die Mutter während der Schwangerschaft syphilitisch wird. Wir haben schon davon gesprochen, sowie davon, daß die elterliche Syphilis für die Nachkommenschaft auch dann verderblich werden kann, wenn das Kind nicht angesteckt wird, indem die Schädigung des elterlichen Körpers durch die Krankheit auch eine Schädigung der Keime zur Folge hat, so daß die Kinder lebensschwach und elend werden, Entwicklungshemmungen und Bildungsfehler, Skrofulose und andere Krankheiten der Ernährung aufweisen. Noch in der zweiten Generation kann, namentlich

wenn die Frau hereditär syphilitisch ist, Neigung zu Abortus, Totgeburt und Geburt lebensschwacher Kinder vorhanden sein.

Die Gefahr für die Nachkommenschaft besteht hauptsächlich während des primären und sekundären Stadiums, in den ersten drei bis vier Jahren nach der Infektion. Nach Ablauf dieses Stadiums werden in der Regel narmale Kinder erzeugt. Doch auch noch bei manchen von diesen später Erzeugten gibt sich durch mancherlei krankhafte Zustände und Anlagen die andauernde Minderwertigkeit der elterlichen Keime kund.

Das überstehen der Syphilis macht für eine neue Infektion unempfänglich, es ruft, wie man zu sagen pflegt, erworbene Immunität hervor.

Auch die Syphilis ist ungeheuer verbreitet. In den verschiedenen Gebieten Mitteleuropas dürften mindestens fünf bis zehn Prozent der ganzen Bevölkerung syphilitisch sein.

Es ist klar, daß unter diesen Umständen der außereheliche Geschlechtsverkehr stets gefährlich ist. Jede Frau, die bereits geschlechtlich verkehrt hat, ist verdächtig, eine venerische Krankheit durchgemacht zu haben oder noch venerisch krank zu sein, und ebenso muß die Frau jeden Mann, der bereits den Beischlaf ausgeübt hat, von vornherein als verdächtig ansehen. Die Hauptquelle der Ansteckung sind jedoch ohne Zweifel die Prostituierten. Nahezu alle erkranken früher oder später an Tripper und weichem Schanker, die meisten auch an Syphilis. Man hat in St. Petersburg konstatiert, daß von 100 Madchen, die das Gewerbe der Prostitution beginnen, binnen fünf Jahren 80 syphilitisch werden. Von 100 Bordellmädchen werden jährlich 12 bis 51 Prozent wegen Syphilis ärztlich behandelt. In Berlin erkranken von den freilebenden Prostituierten jährlich 32 bis 82 Prozent an venerischen Krankheiten, in Budapest von den Bordellmädchen 144 bis 180 Prozent.

Man bemüht sich, durch polizeiärztliche Überwachung die Prostitution ungefährlich zu machen, indem man die erkrankten Prostituierten so rasch als möglich herauszufinden sucht, um sie dann zu isolieren und ärztlich zu behandeln bis zur Genesung oder wenigstens bis zu dem Zeitpunkte, wo sie nicht mehr ansteckungssähig sind.

Dieses Ziel läßt sich aber nur höchst unvollkommen erreichen. Vor allem ist es unmöglich, alle Prostituierten zur Untersuchung heranzuziehen, da die Prostitution in allen möglichen verlarvten Formen auftritt (geheime Prostitution) und auch die unverhüllte Prostitution sich den Augen der Polizei soviel als möglich zu entziehen sucht; -in Großstädten wenigstens - zum guten Teile mit Erfolg. Je scharfer die Polizei gegen die Prostituierten vorgeht, um so hartnäckiger und erfinderischer suchen sich die Prostituierten vor ihr zu verbergen.

Ferner ist es unter Umstanden ungemein schwierig, festzustellen, ob die Prostituierte krank ist oder nicht. Ein chronisch gewordener Tripper macht auch bei der Frau so geringe wahrnehmbare Erscheinungen, daß sehr häufig nur wiederholte mikroskopische Untersuchungen die Diagnose der Krankheit ermöglichen. Floride Syphilis ist zwar leicht zu ernennen, aber im latenten Stadium der sekundären Syphilis können alle Krankheitszeichen fehlen, während die Prostituierte doch infektiös ist. Sechs Siebentel aller syphilitischen Männer, die Sperk in Petersburg behandelt hat, haben sich bei latent syphilitischen Dirnen infiziert.

Ein Mädchen, das heute gesund befunden worden ist, kann bei der ungeheuren Haufigkeit der venerischen Krankheiten in der nächsten Stunde infiziert werden. Sie kann schon infiziert sein, ohne daß die Krankheitserscheinungeu schön ausgebrochen sind. Aber am nächsten Tage brechen sie aus, und nun ist sie infektiös. Ja, es sind sogar Fälle sichergestellt, wo die Dirne die Krankheit von einem Manne direkt auf den nächsten Besucher übertragen hat, ohne selbst zu erkranken. Etwas von dem, was der erste Besucher gebracht hat, hat der zweite sofort wieder mitgenommen.

Hat man die Erkrankten herausgefunden, so ist es fast unmöglich, sie so lange abzusondern, bis sie nicht mehr ansteckungsfähig sind; die syphilitischen Dirnen müßten durch drei bis vier Jahre, die tripperkranken, sobald ihre inneren Organe ergriffen sind, eigentlich für immer abgeschlossen gehalten werden .

Jeder, dem Leben und Gesundheit lieb sind, jeder, der sich eine gesunde Nachkommenschaft wünscht, sollte schon dieser ungeheuren Gefahr wegen die Prostitution meiden.

Ebenso wie den größten physischen Abscheu sollte der Verkehr mit Prostituierten auch den größten moralischen Abscheu erwecken. Lust ohne Liebe ist gemein und macht gemein, und die Hingabe des Körpers gegen Geld ist die tiefste Erniedrigung der Frau. Der Mitmensch in der Frau sollte uns zu hoch stehen, als daß wir sie einfach zum Werkzeuge unserer Lust herabwürdigen; das Mitleid sollte uns abhalten, dieses Gewerbe fördern zu helfen, das die ungeheure Mehrzahl der unglücklichen Frauen, die sich ihm ergeben haben, körperlich und geistig zugrunde richtet.

Wie sehr sind auch die armen Wichte selbst zu bedauern, die das Feuer ihrer ungebrochenen Jugendkraft an Wesen verschwenden, die, wie die Prostituierten, zum größten Teile von Geburt aus tiefstehende, psychisch verkrüppelte Geschöpfe sind - Vagabunden- und Verbrechernaturen ins Weibliche übersetzt . - und welche infolge des Mißbrauchs ihrer Organe selbst die rein physische Genußfähigkeit längst verloren haben und nur des Geschäfts wegen mühsam heucheln, als ob sie beim Beischlaf irgendeine Wollustempfindung hätten.

Als Moralist könnte ich damit schließen; aber ich bin Arzt und fühle Erbarmen mit der menschlichen Schwäche und fühle die Verpflichtung, wenigstens physischen Schaden soviel als möglich zu verhüten, wenn ich schon den sittlichen Schaden nicht verhindern kann. Ich fühle diese Verpflichtung um so lebhafter, als die venerischen Krankheiten nicht bloß den Sünder bedrohen, der sich leichtfertig in die Gefahr stürzt, sondern auch völlig Unschuldige und das Volk in seiner Gesamtheit.

Ich will daher zunächst sagen, wie man die Gefahr, im Geschlechtsverkehr angesteckt zu werden, vermindern kann; sie mit Sicherheit auszuschließen ist bis jetzt unmöglich.

Das weitaus beste Mittel gegen die Ansteckung, das wir heute kennen, ist der Kondom; ihn beim Verkehre mit Prostituierten, beim außerehelichen Beischlafe überhaupt, nicht gebrauchen, ist bodenloser Leichtsinn. Wenn er während des Beischlafes hält, schützt er das Glied, den am meisten gefährdeten Körperteil, gegen alle drei Infektionen, und ebenso schützt er auch die Frau vor dem infizierten, z.B. mit chronischem Tripper behafteten Manne. Aber wir haben schon gehört, daß dünnere Fabrikate leicht reißen ; die billigeren und schlechteren sind auch sehr häufig von vorneherein nicht dicht. Die Gummikondoms werden bei der Aufbewahrung sehr rasch brüchig. Ferner ist zu bedenken, daß der Kondom nach dem Beischlafe an seiner Außenseite Infektionsstoffe tragen kann, daß man sich daher beim Abziehen desselben leicht infizieren kann. Auch an die Nachbarschaft des Gliedes, auf den Hodensack usw., kann beim Beischlafe Infektionsstoss gekommen sein, mit den Fingern kann man welchen aufgenommen haben, und das syphilitische Gift kann, wie wir gehört haben, an den verschiedensten Stellen der Haut und der Schleimhäute haften. Die Benützung des Kondoms muß daher auf alle Fälle durch sorgfältige Waschungen mit kräftigen Desinfektionsflüssigkeiten, am besten mit 1 Promille Sublimatlösung (eine 1 g-Pastille auf 1 Liter Wasser) ergänzt werden. Mit dieser Lösung muß vor allem auch die Außenseite des Kondoms abgewaschen werden, bevor dieser vom Gliede abgezogen wird.

Viel unsicherer als der Kondom dürfte die auch noch so gründliche Einreibung des Gliedes mit Fett oder Vaselin vor dem Beischlafe sein. Ich kann mich nicht entschließen, sie zu empfehlen. Sie soll erstens Verletzungen der Oberhaut des Gliedes, die beim Beischlafe leicht vorkommen, und zweitens die Benetzung des Gliedes durch die Absonderungen der weiblichen Geschlechtsteile verhindern. Unmittelbar nach dem Beischlafe muß dann das Glied zuerst mit Seife gereinigt und hierauf desinfiziert werden. Die Waschung mit der Desinfektionslösung muß sehr gründlich vorgenommen werden, und man muß darauf achten, daß die ganze Oberfläche des Gliedes, die Furche um die Eichel, das Bändchen, die beiden Blätter der Vorhaut wirklich von der Desinfektionsflüssigkeit benetzt werden, und daß alle Teile etwa zwei Minuten lang unter der Wirkung der Desinsektionsflüssigkeit stehen. Dem Laien wird es nicht so leicht gelingen, alle diese Vorschriften zu erfüllen. Die Nachbarschaft des Gliedes und die Hände wäscht und desinfiziert man selbstverständlich mit. Hinterher spült man die Desinfektionslösung mit Wasser fort. Die Waschung darf natürlich auch nicht so grob ausgeführt werden, daß dabei die zarte Oberhaut abgeschürft und dem Ansteckungsstoffe geradezu eine Pforte eröffnet wird. Den Beischlaf auszuführen, wenn am Gliede auch nur die geringfügigsten Abschürfungen vorhanden sind, ist ganz besonders gefährlich und töricht.

Gegen den Tripper gewährt die Einfettung und nachfolgende Waschung des Gliedes so gut wie keinen Schutz, da die Tripperinfektion meistens dadurch zustande kommt, daß beim Beischlafe Gonokokken direkt in die Harnröhre eindringen. Gegen den Tripper sollen Einträufelungen von 20 Prozent Protargol in die Harnröhre unmittelbar nach dem Beischlafe bzw. nach der oben geschilderten Waschung einen verhältnismäßig sicheren Schutz gewähren. Protargollösung und Glasröhrchen, um dieselbe in die Harnröhre einzuträufeln, sind jetzt wohl in allen Apotheken käuflich. Die Erfahrungen über den Wert dieser Einträuflungen sind jedoch noch nicht abgeschlossen. Es liegen auch schon Beobachtungen vor, daß ihr fortgesetzter Gebrauch selbst schädlich werden kann.

Wer einen Beischlaf vollzogen hat, der unrein sein konnte, tut gut, sein Glied drei Wochen lang jeden Tag genau zu betrachten, ob er daran keine Krankheitszeichen wahrnimmt. Jede Hautabschürfung, jedes Eiterpünktchen, Knötchen oder Geschwürchen muß beachtet werden. Man untersuche besonders die Eichel und die Furche hinter ihrem Randwulste, das Bändchen und die Innenseite der Vorhaut. Sobald man irgend etwas Verdächtiges wahrnimmt, eile man sofort zum Arzte, um die verdächtigen Stellen gründlich verätzen zu lassen. Wenn dies in den ersten 24 Stunden, nachdem sich die angegebenen Erscheinungen gezeigt haben, geschieht, gelingt es nicht selten, die weitere Entwicklung des Schankers und der sekundären Syphilis abzuschneiden.

Nach Besichtigung des Gliedes streife man mit dem Finger der Unterseite der Harnröhre entlang von hinten nach vorne und beachte, ob sich auf diese Weise ein Tropfen Flüssigkeit aus der Harnröhre herausdrücken läßt. Am besten ist es, diesen Versuch am Morgen vor dem ersten Harnlassen anzustellen. Tritt ein Tropfen aus der Harnröhre heraus, so suche man ebenfalls sofort den Arzt auf, der sehr häufig imstande ist, durch energische Behandlung die Entwicklung des Trippers abzuschneiden.

Überhaupt muß jedem, der in bezug auf Geschlechtsverkehr kein reines Gewissen hat, auf das allerdringendste empfohlen werden, bei Auftreten irgendwelcher Krankheitserscheinungen an den Geschlechtsteilen oder aus der Haut, an den Lippen, an der Schleimhaut des Mundes und des Rachens sogleich zum Arzt zu gehen und ihm volle Wahrheit einzuschenken. Verschämtheit oder Unwahrhaftigkeit dem Arzte gegenüber wäre das Allertörichteste.

Auch wenn der Tripper, der weiche oder harte Schanker oder die sekundäre Syphilis sich schon entwickelt haben, ist volle Heilung möglich, wenn frühzeitig kräftige ärztliche Behandlung eingeleitet wird. Man befolge daher gewissenhaft die ärztlichen Verordnungen und lasse sich nicht durch törichtes Gerede von Naturheilkundigen und Kurpfuschern irremachen. Insbesondere bitte ich den Leser, mir, der ich gar nicht ärztliche Praxis ausübe, also ganz unverdächtig bin, zu glauben, daß die Behandlung der Syphilis mit Quecksilber (z.B. die sog. Schmierkur) eines der allerwirksamsten Heilverfahren ist, über das die Medizin verfügt, und daß es damit fast immer gelingt, die Syphilis wirklich zu heilen, während bei allen anderen seit längerer Zeit bekannten Heilverfahren die Gefahr der tertiären Syphilis, der Paralyse usw. viel größer ist. Die Heilung der sekundären Syphilis durch Quecksilber dauert stets sehr lange, und die Kur muß durch zwei bis drei Jahre mehrmals wiederholt werden, bis man des Erfolges sicher sein kann. Wir haben ja schon gehört, daß die Syphilis die Eigentümlichkeit hat, Pausen zu machen und nach mehreren Monaten zu rezidivieren. Der Patient darf also ja nicht die Geduld verlieren, wie dies so häufig geschieht. Vorzügliche und rasche Wirkung übt das neue von Ehrlich empfohlene Arsenpräparat "Salvarsan" aus. Es hilft aber auch nicht in allen Fällen und ist selbst keineswegs ganz harmlos für den Körper - ebensowenig wie das Quecksilber -, so daß es höchst töricht wäre, im Vertrauen auf das Salvarsan die Anstekkung mit Syphilis leicht zu nehmen. Die Erfahrungen über das Salvarsan dauern auch noch nicht lange genug, um ein abschließendes Urteil über dieses Heilmittel zu gestatten.

Sorgt der Geschlechtskranke für sich, so muß er auch für andere sorgen. Er darf keinen Augenblick vergessen, daß er an einer ansteckenden Krankheit leidet. Jeder Geschlechtsverkehr ist ein nichtswürdiges Verbrechen, wenn man weiß, daß man geschlechtskrank istl

Aber auch abgesehen davon muß der Geschlechtskranke vorsichtig sein. Der Tripperkranke muß darauf achten, daß er nichts von dem eitrigen Ausflusse, der das Ansteckende ist, in seine eigenen Augen bringt. Er muß seine Finger, wenn er sie damit beschmutzt haben konnte, stets sofort reinigen und desinfizieren, ebenso dafür Sorge tragen, daß alle Gegenstände, die infiziert sein können, z.B. Leibwäsche, desinfiziert werden, bevor sie anderen Leuten in die Hand kommen.

Wir haben schon gehört, daß der Tripper sehr häufig chronisch wird, daß solche langwierige Tripper in der Regel höchst unbedeutende Erscheinungen machen, daß sie aber trotzdem noch im hohen Maße ansteckend sind. Die Vorsichtsmaßregeln dürfen daher erst dann eingestellt werden, wenn durch gründliche ärztliche Untersuchung mit Hilfe des Mikroskops die volle Ausheilung bzw. das Ende der Ansteckungsfähigkeit festgestellt ist. Dies gilt insbesondere von der Ausübung des Beischlafes* und von dem Eingehen der Ehe. Da der chronische Tripper jahrelang fortbestehen kann, darf niemand, der an Tripper erkrankt war, heiraten, ohne daß ihm dies der Arzt nach gründlicher Untersuchung erlaubt hat. Wer anders handelt, ist gewissenlos. Tausende und Abertausende von armen Frauen werden ohne geringstes eigenes Verschulden für die Dauer ihres Lebens siech, weil sie von ihrem Gatten, vielleicht gleich in der Hochzeitsnacht, mit Tripper angesteckt werden!

*Auch in diesen Fällen gewahrt der Kondom einen wertvollen, wenn auch keineswegs ganz sicheren Schutz.

Hat der Tripperkranke nur darauf zu achten, daß nichts von dem Ausflusse der Harnröhre an einen unrechten Ort gebracht wird, so muß der Syphilitische noch viel vorsichtiger sein, da alle seine Absonderungen ansteckend sind, und insbesondere durch den Speichel und den Mundschleim die Krankheit leicht übertragen wird. Also während der ganzen zwei- bis dreijährigen Dauer der sekundären Syphilis nicht küssen! insbesondere nicht auf den Mund! Keine gemeinschaftliche Benützung von Eß- und Trinkgeschirr, von Tabakspfeifen, von Gerät, das, wie Musikinstrumente oder Glasbläserpfeifen, in den Mund genommen werden muß.

Wie der Tripperkranke darf auch der Syphilitische nicht heiraten bzw. nicht den Beischlaf ausüben, bevor nicht jede Gefahr der Ansteckung der Frau und der Erzeugung kranker Kinder ausgeschlossen ist. Da dies vor Ablauf von vier Jahren nach erfolgter Ansteckung nicht sicher ist, muß mit der Ehe jedenfalls solange gewartet werden. Aber auch nach vier Jahren ist eine Ehe nur dann zulässig, wenn eine sorgfältige ärztliche Behandlung stattgefunden hat, und wenn mindestens seit einem Jahre nicht die geringsten Erscheinungen von Syphilis aufgetreten sind. Diese Vorschriften mögen drakonisch scheinen, sie sind aber bei der Furchtbarkeit der Folgen eines vorzeitigen Abschlusses der Ehe unbedingt geboten.

Alles dieses über die venerischen Krankheiten Gesagte möge sich nicht allein der Ehekandidat vor Augen halten, sondern auch die Frau, um die geworben wird, bzw. ihre Eltern und Vormünder. Sie sollen unbedingt verlangen, daß der Brautwerber sein Freisein von venerischen Krankheiten durch ein ärztliches Zeugnis nachweist. Eigentlich sollte keine Ehe abgeschlossen werden, bevor beide Brautleute ärztlich untersucht und gesund und frei von gefährlicher erblicher Belastung befunden worden sind. Unendliches Unheil könnte dadurch verhütet werden! Einen gewissen Schutz gegen die Verehelichung mit Kranken wird es schon gewähren, wenn es zur allgemeinen Gewohnheit wird, was ja auch aus wirtschaftlichen Gründen dringend zu empfehlen ist, daß die Gatten bei Abschluß der Ehe ihr Leben versichern und die Ehe unterbleibt, wenn die Versicherung versagt wird. Möge sich wenigstens dieser Gebrauch rasch einbürgern.



Achtung!
Dieses Buch ist ein altes Fachbuch, der Inhalt entspricht nicht dem aktuellen Stand der Medizin. Angegebene Therapien entsprechen höchstens dem Stand der Medizin zum angegebenen Druckdatum. Dasselbe gilt für eine ggf. angegebene Rezeptur für ein Medikament. Diese entsprechen nicht dem heutigen Stand der Medizin und sind unter Umständen sogar körperlich schädigend. Die Zubereitung von Rezepturen und die Anwendung derselben gehört in die Hände erfahrener Ärzte und Apotheker.
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25. 4. 1873
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