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Meine Wasserkur

Sebastian Kneipp, 49. Auflage 1894

 

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Wasser-Anwendungen
Die Aufschläger
Von Sebastian Kneipp.

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Exkurs zum Aderlaß



Wie ich über das Aderlassen, die Blutegel und all die wie immer gearteten Blut-Entziehungen denke?

Noch vor 50, 40, 30 Jahren war selten eine Frau, die sich nicht 2, 3, 4 mal im Jahr zur Ader gelassen hätte; die Halbfeiertage und natürlich die günstigsten Zeichen waren gleich am Jahresanfänge im Kalender strenggläubig gewählt und roth oder blau angestrichen worden. Die Land- und anderen Aerzte, die Bader und Rasirer selbst nannten ihre eigene Arbeit in dieser Beziehung eine förmliche "Metzgerei". Auch Anstalten, Klöster hatten ihre Aderlaß-Zeit und die vor allem Anderen streng eingeführte Diät (Lebensweise) genau bezeichnet. Man wünschte sich Glück vor und gratulirte sich nach den überstandenen blutigen Strapazen. Diese mögen zuweilen nicht gering gewesen sein. Ein geistlicher Herr aus jener Zeit versicherte, 32 Jahre lang habe er sich zur Ader gelassen, in jedem Jahre 4 mal, und bei jedem Aderlaß 8 Unzen Blut verloren. Thut in Summa 8 X 4 X 32 — 1024 Unzen Blut!

Neben dem Aderlaß gingen noch Blutegel, Schröpfköpfe u. A. um; es war gut gesorgt für Jung und Alt, für Hoch und Nieder, für Männer und Frauen.

Wie doch die Zeiten sich ändern! Dieses Treiben hielt man lange für das unum necessarium, das einzige und absolut Nothwendige des Gesundseins und Gesundbleibenwollens. Und wie denkt man heutzutage darüber? Man belächelt und bespöttelt diesen Irrwahn der Alten, diese Naturwissenschaftlichkeit, zu meinen, daß irgend ein Mensch zu viel Blut habe. Vor ungefähr zwei Jahren sagte mir ein literarisch thätiger Arzt des Auslandes, der einer neueren Schulrichtung folgt, er habe in seinem Leben noch nie Blutegel gesehen. Viele Aerzte schreiben die Blutarmuth unserer Zeit dem früheren Uebelstand und Mißbrauch des Aderlassens zu. Sie mögen Recht haben, nur ist dieses nicht die einzige Ursache.

Doch zur Sache! Meine Ueberzeugung ist folgende: Beim menschlichen Körper stimmt Alles so wunderbar zusammen, der Theil zum Theil und jeder Theil zum Ganzen, daß man nicht ansteht, das Gebilde des Körpers ein einziges Kunstwerk zu nennen, dessen Idee nur in Gottes Schüpfergeist ruhen konnte, und dessen Inswerksetzung nur durch Gottes Schöpferkraft möglich war. Dieselbe Ordnung, dasselbe Maß, dieselbe Harmonie besteht zwischen Einnahme und Verbrauch der zum Unterhalte, zur Erhaltung des Körpers nothwendigen Stoffe, wenn anders der vernünftige und freie Mensch durch rechten Gebrauch des ihm Gegebenen nach Gottes Willen mitarbeitet und nicht durch Mißbrauch desselben die Ordnung verkehrt und Mißklänge in die Harmonie bringt. Da der Sachverhalt ein derartiger ist, so kann ich mir nicht denken, wie die Blutbildung allein, dieser wichtigste aller Prozesse im menschlichen Körper, ohne Ordnung, ohne Zahl und Maß, ungeordnet und übermäßig vor sich gehen solle.

Jedes Kind, so denke ich mir die Sache, bekommt von seiner Mutter mit dem Leben als Erbtheil gleich bei der Geburt ein Quantum, eine Portion Blutbildungsstoff mit, mag man letzteren nennen, wie man will, gleichsam die Essenz, ohne welche kein Blut fabrizirt, bereitet werden kann. Geht diese Essenz aus, so hört auch die Blutbildung, mit ihr das eigentliche Leben auf. Absterben, hinsiechen nenne ich nicht mehr "leben". Durch einen jeden Blutverlust nun, geschehe es durch Fall, Sturz oder durch Aderlaß, Blutegel, Schrüpfkopfe, geht ein Theilchen oder Theil dieses Blutbildungsstoffes, dieser Lebensessenz verloren; um so viel hat der Mensch weniger, kürzer zu leben. Jede Blutentziehung bedeutet soviel als Verkürzung des Lebens; denn im Blute ist das Leben.

Man wendet ein: Nichts geht rascher als Blutbildung; Blut verlieren, Blut gewinnen, ist fast ein und dasselbe. —

Unglaublich wunderbar schnell geht die Blutbildung vor sich, das gestehe ich vollkommen zu. Aber man entschuldige folgendes Erfahrngsargument (Beispiel); es wird meine Leser aus dem Bauernstand interessieren und sie werden es bestätigen müssen. Wer ein Stück Vieh schnell fett machen will, zapft ihm einen großen Theil Blutes ab, läßt ihm zur Ader und füttert es dann recht gut. In ganz kurzer Zeit wird neues, schönes Blut in Menge fließen. Dabei gedeiht das Stück außerordentlich und nimmt zu an Fettigkeit. Nach 3—4 Wochen läßt man nochmals Blut ab und füttert wieder kräftig und gut, gibt auch viele und kräftige Tränke. Das Gedeihen ist prächtig, und selbst ein altes Stück Vieh wird beim Schlachten so viel und so schönes Blut zeigen wie ein junges. Sehen wir uns indessen das Blut näher an! Das künstlich gebildete Blut ist nur mehr wässeriges, fades, lebensunfähiges Blut. Das Stück Vieh hat keine Kraft, keine Leistungsfähigkeit, keine Ausdauer mehr, und wird es nicht bald geschlachtet, so wird sich binnen Kurzem
die Wassersucht ansetzen.

Sollte es bei dem Menschen anders sein? Wer schon mehr als 60 Jahre zählt und ein bischen Erfahrung und Einsicht hat in's Menschenleben, weiß, wie gerade der unmäßige Aderlaß der Voreltern Einfluß hatte auf Fähigkeiten, Talente, Lebensdauer der Nachkommen. Der im Beginne dieser Abhandlung angeführte Herr, der so viele Unzen Blutes lassen muhte, starb in den schönsten Mannesjahren an der Wassersucht. Und wenn eine Frau, es sind dieses Thatsachen, 300 mal, eine andere 400 mal sich zur Ader ließ und dabei namenlos schwach und krank wurde, mußte da die folgende Generation nicht schwächlich und gebrechlich, zu Krämpfen und anderen Leiden veranlagt sein?

Ich gestehe gerne zu, daß es Fälle geben kann, welche aber stets zu den Ausnahmen gehören, in denen, da andere rasch wirkende Mittel nicht zur Hand sind, der Aderlaß eine augenblickliche Gefahr beseitigt.

Sonst aber frage ich jeden vernünftigen Unparteiischen: Was ist besser, sich Stück für Stück vom Lebensfaden abzwacken zu lassen, oder durch richtige Wasseranwendung das Blut so zu vertheilen, daß selbst der Vollblütigste kein zu großes Quantum Blut besitzt? — Wie und durch welche Anwendungen diese Vertheilung zu geschehen habe, ist an passender Slelle des öfteren erörtert.

Gewöhnlich bekommt man zu hören, daß bei drohenden Schlaganfällen der Aderlaß das einzige Rettungsmittel sei.

Da erinnere ich mich soeben eines Falles, wo nach einem stattgehabten Schlagflusse der erste Arzt in der That schnell zur Ader ließ, der zweite Arzt aber bestimmt erklärte, der Kranke müsse gerade in Folge dieses Aderlasses sterben, was auch geschah. Nicht Blutreichthum und Blutüberfluß führen, wie irrtümlicherweise die Leute meinen, in der Regel einen Schlag herbei, sondern Blutarmuth. "Er ist am Schlage verschieden" heißt gewöhnlich so viel als: mit dem Ausgehen des Blutes ist ihm auch das Leben ausgegangen. Das Oel hat aufgehört zu fließen und zu befruchten; deßhalb ist der glimmende Docht völlig erloschen.

Welch nützliche Dienste gerade nach Schlaganfällen das Wasser leistet, lese man im dritten Theile nach. Ich bemerke hier nur noch, daß gerade mein Vorgänger im pfarrlichen Amte dreimal vom Schlage gerührt und nach dem dritten male vom Arzt als lebensunfähig erklärt wurde. Das Wasser hat ihn nicht nur im Augenblicke gerettet, sondern noch mehrere Jahre seiner Gemeinde erhalten.



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Achtung!
Dieses Buch ist ein altes Fachbuch, der Inhalt entspricht nicht dem aktuellen Stand der Medizin. Angegebene Therapien entsprechen höchstens dem Stand der Medizin zum angegebenen Druckdatum. Dasselbe gilt für eine ggf. angegebene Rezeptur für ein Medikament. Diese entsprechen nicht dem heutigen Stand der Medizin und sind unter Umständen sogar körperlich schädigend. Die Zubereitung von Rezepturen und die Anwendung derselben gehört in die Hände erfahrener Ärzte und Apotheker.
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Rückblick
24. 4. 1899
Der Deutsche Bundesrat beschließt, Frauen zu den Staatsprüfungen der Medizin, Zahnmedizin und Pharmazie zuzulassen. Das nötige Studium konnten sie jedoch erst vom Wintersemester 1908/09 an preußischen Universitäten ableisten, da sie erst zu diesem Zeitpunkt voll eingeschriebenes Mitglid werden konnten, so daß sie bis zu diesem Zeitpunkt im Ausland studieren mußten.

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