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Lehrbuch der Gynäkologie

Otto Küstner, 4.Auflage 1910

 

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VII. ABSCHNITT.
Allgemeine Diagnostik.

Kapitel XXVI.
Allgemeine Symptomatologie.
Von Otto Küstner.

Seite: 6/6Zurück (Umgebung)[ Menstruation | Dysmenorrhoe | Fieber | Sterilität | Umgebung | Hysterie ]


Hysterie


Schwerer verständlich ist der ursächliche Zusammenhang zwischen Genitalerkrankungen und nervösen Symptomen in noch ferner liegenden Bahnen, Schmerz im Hinterkopf, zwischen den Schulterblättern, in den Nierengegenden, Druckgefühl im Epigastrium usw. Die Kranken schließen mit ihrem Laienverständnis aus derartigen Symptomen gern auf Erkrankung derjenigen Organe, welche da liegen, wo die schmerzhaften Sensationen empfunden werden. Es ist ihnen oft schwer begreiflich zu machen, daß diese von Affektionen der fern liegenden Beckenorgane ausgehen können. Erst die sachkundige gynäkologische Therapie wirkt überzeugend.

Dazu gehören auch diejenigen Symptome, welche zu einem großen Teil den Kollektivbegriff der Hysterie ausmachen, welche seit dem Bestehen der modernen Arbeitsteilung in der praktischen Medizin das Gebiet darstellen, auf welchem sich Neuropathologen und Gynäkologen vielfach begegnen. Sie sind sehr mannigfacher Natur. Es gibt wohl kein Symptom der Hysterie, welches nicht einzeln auftreten oder sich besonders in den Vordergrund drängen könnte, von welchem nicht gelegentlich der innige Zusammenhang mit einem Genitalleiden ex juvantibus exakt nachzuweisen wäre. So war es vorwiegend das Verdienst der Gynäkologen und Neurologen der Jetztzeit, viele Formen der Hysterie nach dieser Richtung hin würdigen gelehrt und einer Auffassung den Boden entzogen zu haben, nach welcher die Hysterischen durchweg als malades imaginaires, als willensschwache, charakterlose Individuen, als große, ungezogene Kinder galten, denen gegenüber der Arzt die Verpflichtung habe, mehr einen pädagogischen, als einen medizinischen Standpunkt zu vertreten.

Der jetzige Stand der Kenntnis des Verhältnisses der Hysterie zu nervösen Symptomen in ferner liegenden Bahnen, welche in Beziehung zu Geschlechtsleiden stehen, ist folgender:

Entweder besteht primär nicht Hysterie, die Symptome hängen direkt vom Genitalleiden ab. Oder es besteht Hysterie, d. h. ein geschwächtes, labiles Nervensystem und die Genitalerkrankungen wirken als auslösende Momente, als Agents provocateurs.

"Das Wesen der Hysterie besteht darin, daß Vorstellungen ungewöhnlich leicht und ungewöhnliche körperliche Veränderungen bewirken" (Möbius). Die Hysterie kann nun wieder ihre Ursache in Schädigungen des Nervensystems durch Vorgänge, welche sich im Gebiete der Geschlechtssphäre abspielten, haben (schädigender Einfluß von schnell aufeinanderfolgenden Wochenbetten, Blutverlusten etc.) oder durch andere Momente (z. B. Vererbung).

Die Uebertragung, bezugsweise Vermittelung dieser fernliegenden Symptome von den Genitalien aus erfolgt nach Windscheid entweder per Nerv — Kückenmark — Zentralorgan, oder die lokale Nervenerkrankung bleibt aus, von der Geschlechtserkrankung aus wird reflektorisch das Zentralnervensystem erregt.

Für beide Modi der Uebertragung paßt es, wenn wir diese Symptome Reflexneurosen nennen.

Die Symptome, um welche es sich hier handelt, sind der mannigfachsten Natur (Windscheid):

Allgemeine Nervosität, Reizbarkeit, schlechter Schlaf, schlechte Verdauung.

Neuralgien, als Mastodynie, Coccygodynie, Intercostalneuralgie, Ischias, Tic douloureux.

Krampfformen des Magens, der Cardia (Ructus), des Zwerchfells (Singultus), Kontrakturen in den Beinen, Armen.

Lähmungen in den Extremitäten, besonders den unteren, in den Stimmbändern.

Krampfhusten (Tussis uterina).

Dyspnoe, Asthma.

Die akut auftretenden von diesen Erscheinungen sind mitunter durch Druck auf sogenannte hysterogene Zonen auszulösen. Die wichtigste für die mit den Genitalien zusammenhängende Hysterie ist im Hypogastrium die Stelle neben der Medianlinie, von welcher aus Charcot das Ovarium zu berühren glaubte, und um dessen willen er diese Beziehung Ovarie nannte. Die Ovarie hat mit den Ovarien sicher nichts zu tun, denn auch Frauen, denen die Ovarien exstirpiert sind, können die Ovarie aufweisen. Die Ovarie bedeutet nur, daß die Organe des Hypogastriums besonders affiziert sind. Das können die gesamten inneren Geschlechtsorgane oder Teile derselben, müssen aber nicht die Ovarien sein.

Diejenigen Genitalerkrankungen, welche das Symptom der Ovarie am häufigsten auslösen, sind Retroflexion und chronisch-entzündliche Prozesse des Uterus, der Ovarien, der Tuben und des Beckenperitoneums.

Die Diagnose, ob es sich um Genitalerkrankung handelt oder nicht, ist durch die genitale Untersuchung zu stellen. Ob die Symptome ausschließlich von der Genitalerkrankung abhängen, oder ob sie auf der

Basis der Hysterie nur besonders lebhaft in Erscheinung treten, kann sehr schwer zu entscheiden sein. Zur Differentialdiagnose benutzte Lomer die hysterischen Stigmata. Es ist eine Eigentümlichkeit der Hysterie, daß die Conjunctival- und Gaumenreflexe aufgehoben sind. Berührung mit dem Finger oder einem Gegenstand weckt weder Lidschlag noch Würgbewegung. Natürlich kann dieses wichtige differential-diagnostische Merkmal uns nicht darüber informieren, ob die Hysterie primär ist oder vielleicht erst von einem Genitalleiden ausgeht. Manche Neurologen, z. B. Eulenburg, bestreiten, daß diese Stigmata für Hysterie pathognomonisch sind. Und wir Gynäkologen wissen, daß auch die Stigmata der Hysterie gelegentlich nach der erfolgreichen Behandlung eines Genitalleidens verschwinden. Bei schweren hysterischen Erscheinungen ist das Consilium mit einem erfahrenen Neuropathologen geboten.

Die Sicherheit, mit welcher man durch eine richtig gewählte, gut durchgeführte Behandlung des zugrunde liegenden Genitalleidens nervöse, hysterische Erscheinungen zum Verschwinden bringen kann, grenzt an die Exaktheit eines physiologischen Experimentes und ist geeignet, Laien und weniger sachkundigen Aerzten zu imponieren. Diese Symptome verschwinden auf eine zweckmäßige Lokaltherapie hin auch dann noch, wenn das Genitalleiden schon recht alt ist. In Fällen aber, wo der Beginn des Genitalleidens sehr weit zurückliegt, sind die nervösen Erscheinungen selbständiger geworden und weichen nicht mehr oder nicht mehr prompt einer gynäkologischen Behandlung.

Nochmals zu betonen: nicht all und jede Neurose, welche als hysterisch bezeichnet werden kann, ist auf ein Genitalleiden zurück-zubeziehen. Selbst die Beweisführung, welche in der Beseitigung der Neurose durch eine erfolgreiche Behandlung eines gleichzeitig vorhandenen Genitalleidens besteht, besitzt nicht für alle Fälle Vollwertigkeit. Wie groß der Teil des Heilerfolges ist, welchen man der Suggestion zuschreiben muß, bleibt zunächst offene Frage. Das ist zu berücksichtigen; sind doch die Frauen der Suggestion so außerordentlich zugängig. Sind wir uns dieser vorsichtigen Auffassung bewußt, so werden wir in der Deutung nervöser Symptome und ihres Zusammenhanges mit zugleich bestehenden Genitalleiden selten einen Fehler machen. In schwer zu analysierenden Fällen ist, wie gesagt, die Konsultation mit einem Neurologen notwendig.

Aber auch das Umgekehrte ist notwendig. Die „nervösen" in neuropathologischer Behandlung befindlichen Frauen müssen der fachmännischen gynäkologischen Untersuchung zugängig gemacht werden. Das geschieht entschieden zu selten. Wenigstens bei uns in Deutschland. Broun berichtet, daß man in mehreren psychiatrischen Kliniken der Vereinigten Staaten die regelmäßige gynäkologische Untersuchung der Patientinnen eingeführt hat. Und Huggins fand 25 Proz. aller geisteskranken Frauen gynäkologisch krank.

Also auch heutzutage ist dieses schwierige Gebiet noch durchaus nicht nach allen Richtungen geklärt. Kroenig u. a. ziehen den Einfluß genitaler Erkrankungen auf das Entstehen allgemeiner nervöser Symptome durch Irradiation oder Reflex in Zweifel. Kroenig glaubt, daß in den meisten Fällen genitale Erkrankungen und funktionelle Nervenkrankheiten, wo nebeneinander angetroffen, koinzidieren, nicht aber kausal voneinander abhängen. Andererseits räumt er ein, „daß genitale Erkrankungen einen besonders verderblichen Einfluß auf das Nervensystem ausüben können", und daß er „keineswegs den Einfluß von Erkrankungen des Genitalapparates auf das Nervensystem und auf die Psyche der Frau gering einschätzt".

Eins aber ist zu beachten. Außer den zahlreichen klinischen Arbeiten sind es auch exakte experimentelle und anatomische Untersuchungen, welche die Abhängigkeit hysterisch-nervöser Symptome von Erkrankungen der Sexualorgane nahe legen. Es ist eine bescheidene und bedingungslos zu unterschreibende Aeußerung Freunds, wenn er sagt: „Mag es sein wie ihm wolle, mag man über die Berechtigung der psychogen — und der sexual - - bedingten Hysterie verschiedener Meinung sein -- die konstatierten neuen pathologischanatomischen Tatsachen der Veränderungen der weiblichen Sexualorgane müssen vorerst unabhängig von ihrer klinischen Bedeutung nachgeprüft und, wenn bestätigt, klinisch respektiert und verwertet werden."

Die alte Bezeichnung „Hysterie" behält für einen umfangreichen nervösen Symptomenkomplex tatsächlich ihre hohe Berechtigung.

Es sind sehr häufig Erkrankungen der Hystera, des Uterus und seiner Adnexorgane, welche die prägnantesten und häufigsten Symptome der Hysterie in Erscheinung treten lassen.




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Achtung!
Dieses Buch ist ein altes Fachbuch, der Inhalt entspricht nicht dem aktuellen Stand der Medizin. Angegebene Therapien entsprechen höchstens dem Stand der Medizin zum angegebenen Druckdatum. Dasselbe gilt für eine ggf. angegebene Rezeptur für ein Medikament. Diese entsprechen nicht dem heutigen Stand der Medizin und sind unter Umständen sogar körperlich schädigend. Die Zubereitung von Rezepturen und die Anwendung derselben gehört in die Hände erfahrener Ärzte und Apotheker.
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20. 4. 1945
Johannes Sobotta (1869-1945) bekannt geworden durch seine anatomischen Zeichnungen stirbt 76-jährig.

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