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Meine Wasserkur

Sebastian Kneipp, 49. Auflage 1894

 

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Krankheiten
F-G.
Von Sebastian Kneipp.

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Geisteskrankheit.


Furchtbar muß es sein, wenn diese Geistesnacht über Einen hereinbricht, wenn der Mensch nicht mehr Mensch ist, sondern gleichsam zum unvernünftigen Thiere wird. Noch vor 50, 40, 30 Jahren gehörten Geisteskrankheiten zu den Seltenheiten. Heutzutage mehrt sich deren Zahl (darin sind Alle eins) in schreckenerregender Weise. Die Irrenhäuser, so zahlreich sie sein mögen, sind überfüllt, reichen nicht mehr aus. Man baut jetzt vielerorts außerhalb der Grosstädte fast ganze Irrenstadtviertel. Unheimlich ist's, diese Todtenfelder von Lebenden zu durchwandeln. Also das ist der Mensch, der so groß thun kann! Gott bewahre uns vor solcher Heimsuchung! Derlei Gedanken umflattern bei solch düsteren Gängen die ernstgestimmte Seele. Das sind die Ganz-Irren. Wie viele hundert, ja wie viele tausend Menschen aber sind halbe Geisteskranke, die entsetzlich viel leiden und selten Hilfe bekommen. In Wahrheit darf ich sagen, daß eine sehr. große Anzahl solcher Unglücklicher bei mir Linderung und Heilung suchte, und mit besonderer Liebe und Sorgfalt fühlte ich mich jederzeit gerade zu diesen so arg verlassenen und so trostlosen Menschen hingezogen. Sie waren zu wenig krank für's Irrenhaus, aber unfähig zu jedem Berufsleben. Unsagbar, unbeschreiblich, unzählig und mannigfaltig sind die Plagen solcher Geistesgestörten. Wie zur Sommerszeit in der heißesten Mittagsgluth die Stechmücken am ärgsten schwirren, so treiben in dem heißen Gehirn dieser Armen die tollsten Gedanken ihr heillosestes Spiel. Die Einen hassen ihren bisherigen, geliebten Beruf, Andere wollen nicht mehr beten. Menschenscheu und Menschenhaß hat die Einen erfaßt, Haß gegen sich selbst die Anderen, sie wollen sich das Leben nehmen u.s.w. Die Köpfe und deren Inhalt sind so verschieden als die armen Individuen selbst.

Bei allen Kranken, die mich aussuchten, habe ich in den fünfunddreißig Jahren stets Ursachen der Krankheit gefunden. Entweder war das Uebel angeerbt, also von Kindheit an grundgelegt, im Keime vorhanden; oder es rührte her von Körpergebrechen, von Krankheiten, wohl auch von der Lebensweise.

Ein Punkt ist wohl zu beachten, weil da so gerne Täuschungen vorkommen. Man bleibe bei der Beurteilung solcher Zustände recht nüchtern, lasse sich selbst den Geist nicht einnehmen. Nicht genug kann ich warnen vor jenem voreiligen, so überaus thörichten Gebahren, welches alsbald übernatürliche, besonders teuflische Einflüsse hellsehen will. In Fällen selbst, in denen Jedermann fast hätte glauben müssen, der leibhafte Satan herrsche in dem Kranken, hat der einfache kalte Strahl ihn vertrieben.

Mir kam in meiner ganzen Praxis nicht ein einziger Fall vor, in dem natürliche Mittel, recht angewendet, nicht geholfen hätten. Ich klammere mich fest an den Glauben und an das Uebernatürliche wie an ein Rettungsboot und möchte - Gott bewahre! - kein Strichlein und kein Pünktlein dieser Glaubensueberzeugung aufgeben. Nie aber möchte ich den Glaubensfeinden eine Handhabe reichen zum Spotte oder Angriffe auf den Glauben.

Die es angeht, kennen und verstehen mich. Ein Beispiel: Ein Bruder bringt seine Schwester, welche behauptet, mitten in ihrer Brust wohne der böse Geist. Sie wisse vom Teufel viel, der Teufel aber wisse von ihr Alles, auch die geheimsten Gedanken; er regiere, leite und beherrsche sie. Ein Narr sei ihr Bruder, noch dümmer sei der Pfarrer, der allerdümmste aber sei der Arzt. Warum? "Weil sie immer sagen, ich solle einen anderen Kopf aufsetzen, meine Thorheiten ablegen und ihnen folgen. Wenn einmal der Teufel in Einem herrscht," fügte die Kranke bei, "dann hat der eigene Kopf das Regiment verloren." Es ist nicht zu sagen, wie heftig und unbändig wild die Arme gegen die drei genannten Persönlichkeiten wüthete.

Hätten dieselben ruhig geschwiegen, - sie wußten ja, wen sie vor sich hatten, - sie hätten die Kranke nicht in so gewaltige Aufregung versetzt, und ich hätte leichter gethan.

Bei derlei Kranken kommt Alles, ja Alles auf die Behandlung an. Ich widersprach ihr mit keinem Worte und sagte bloß: „Ja freilich, in Deinem Innern Steht es nicht gut." Damit war die Kranke zufrieden, und ich hatte sie auf meiner Seite. Sofort faßte sie Vertrauen, wie ihre Antwort bekundete. "Wenn mir Einer nicht glauben will," so lautete diese, "daß ich den Teufel in mir habe, so wird er ihn auch nicht austreiben können."

Dieses Vertrauen heißt bei mir jedesmal so viel als: die Kranke ist bereits zur Hälfte geheilt, und deine Arbeit ist mehr als zur Hälfte gethan. Die Kranke nahm ein, was ich ihr gab; sie wendete pünktlich das Wasser an, wie ich es bestimmte. In sechs Wochen ward sie vollkommen geheilt. Gewiß interessirt es Manchen, was der Person wohl gefehlt hat. Die Kranke sah stürmisch drein. Ihre Gesichtszüge waren eingefallen, die Hände kalt, die Füße noch kälter; auf der Brust fühlte sie einen schweren Druck und im Magen Widerwillen gegen jede Speise. Alles Blut war, so schien es, der Brust zugeeilt. Die erste Aufgabe bestand darin, die Zirkulation des Blutes zu ordnen, dadurch gleichmäßige Naturwärme und ein geordnetes Arbeiten des ganzen Organismus herzustellen. Zu dem Ende mußte die Kranke täglich zweimal bis über die Waden in's kalte Wasser stehen, je zwei Minuten lang, darauf tüchtig gehen, um die Füße so bald als möglich zu erwärmen; dann ebenso die ganzen Arme täglich zweimal in's Wasser halten, je zwei Minuten lang, darauf denselben in irgend einer Weise Bewegung verschaffen, um sie ebenfalls möglichst schnell warm zu bekommen. Zweimal des Tages ließ sie sich, zu Bette liegend, Rücken, Brust und Unterleib mit Wasser und Essig kräftig waschen. Die verhältnismäßig schwachen Anwendungen mußten durch vierzehn Tage genau fortgesetzt werden. Die heftigste Aufregung ließ nach, wenn auch der Teufel in dem wirren Kopfe immer noch spuckte. Die eingefallenen Züge belebten sich. Nach vierzehn Tagen ließ ich kräftiger einwirken. Die Kranke bekam Unterwickel im Wechsel mit Halbbädern (nur eine halbe Minute lang, und jedesmal folgte die Waschung des Oberkörpers) und dem spanischen Mantel; alle drei Anwendungen waren cirea drei Wochen fortzusetzen. Nach der dritten Woche beschloßer. die Heilung wöchentlich eine Ganzwaschung und ein kurzer Wickel von einer Stunde. So wurde der vermeinte Teufel ausgetrieben, und die Aufregung wich großer Ruhe und ungestörtem Frieden.
Arme Eltern brachten ihren Knaben von zehn Jahren und erzählten Folgendes: „So oft man zur Kirche läutet, fängt der Bube an zu toben und in der heftigsten und gräßlichsten Weise die entsetzlichsten Flüche auszustoßen, Flüche und Schwüre, die wir in unserem Leben noch nie gehört haben. Er flucht so lange, als er die letzte Person auf dem Kirchwege sieht. Dann hört er auf. Sobald aber nach vollendetem Gottesdienste der erste Andächtige die Kirche verläßt, fängt er auch schon wieder an, zu schwören, und er schwört und flucht fort, bis er Niemanden mehr erblicken kann. Wenn wir beten, so flucht er; hören wir auf, so hört auch er auf. Hochwürden, es ist schrecklich. Man mag anwenden, was man will, helfen thut gar nichts, am wenigsten das Einreden; das macht ihn nur noch heftiger. Seine Mutter packte er einmal mit beiden Armen wie mit Krallen und schüttelte sie derart, daß man nicht glauben sollte, wie ein Knabe so viel Kraft entwickeln könnte. Aerzte sind mehrere befragt worden, geholfen hat nichts. Benedizirt wurde er auch; da hat er noch am ärgsten geflucht u.s.w."

Der Knabe hatte ein ganz sonderbares Aussehen: abgestandene Gesichtsfarbe, im höchsten Grade wildaussehende Züge; die Haare standen, wie beim Igel die Stapeln, senkrecht in die Höhe. Ich unterstand mich, seine Hand anzufühlen; er wollte mir sofort in's Gesicht springen. Zwei Priester, welche den schrecklichen Zustand gesehen hatten, sagten: "Wer an eine Besessenheit glaubt, muß sagen: hier ist sie."

Ich faßte das Leiden von Anfang an ganz natürlich auf und täuschte mich auch dieses mal nicht; in sechs Wochen war das arme Kind vollständig geheilt. Ich ließ den Knaben täglich auf 1 bis 1,5 Stunden ein Hemd anziehen, das in Wasser (mit etwas Salz) getaucht war, ebenfalls täglich einmal mit einer Mischung von Wasser und etwas Essig ganz waschen. Beides dauerte vierzehn Tage lang. In der dritten Woche bekam er den einen Tag ein (oben beschriebenes) Hemd angezogen, den andern Tag auf eine halbe Stunde ein warmes Bad von 28 R. im Wechsel mit einem kalten (eine halbe Minute). am dritten Tage eine Ganzwaschung. Dieses waren die Uebungen der dritten und vierten Woche. In der fünften reichte ans ein nasses Hemd, in der sechsten und letzten ein warmes Bad mit rascher kalter Abwaschung.

Die Umänderung und Besserung vollzog sich rasch. Der ganz kalte Knabe wurde wi der warm, der verlorene Appetit kehrte wieder, und er ließ sich die Milch- und Mehlkost, welche die armen Eltern mit Freuden ihm reichten, trefflich schmecken. Aller Spuck war wie weggeblasen.

Einer der Leser wird vielleicht fragen: "Warum denn wendet der Pfarrer bei solchen Kranken keine Güsse an, da doch in unseren Irrenanstalten die Tobsüchtigen besonders mit Douchen u. s.w. behandelt werden?" Nach meiner unmaßgeblichen Meinung darf ein Jäger (doch vielleicht ist's Jägerlatein?), der einen Fuchs aus seiner Höhle locken will, unmittelbar vor das Loch hin nicht schießen. Besser wird's sein, den listigen Reinecke mit einer Lockspeise (etwa einem Huhn oder Spanferkel) zum gefälligen Herauskommen einzuladen. Nun höre, mein lieber Leser! Wo eine Krankheit drinnen steckt, da steckt auch Krankheitsstoff. Diesen auflösen und ausleiten, das heißt den Fuchs locken und fangen. Eine Douche aber löst nicht auf, leitet aber auch nicht aus. Ist einmal aufgelöst und ausgeleitet. dann hat die leichtere Douche einen Sinn, dann laß ich sie nur auch recht wohl gefallen.

Vor neun Jahren kam ein Madchen zu mir und erzählte, wie folgt: "Mein Bruder ist schon mehr als ein Iahr im Irrenhause. Er wurde für unheilbar erklärt. Nun bekomme ich ganz dieselben Zeichen, die mein Bruder vor dem Ausbruch der Krankheit hatte. Ich hatte bisher gedient, mußte aber meinen Dienst verlassen; denn ich kann nicht mehr arbeiten. Wenn ich keine Hilfe erhalte, komme ich in Bälde zu meinem Bruder in die Irren-Anstalt.

Auf verschiedene Fragen erhielt ich den Bescheid, daß der Appetit sehr wechsle, manchmal gut sei, manchmal ganz fehle; daß ferner sobald das heftige Gliederreissen nachlasse ebenso heftige Brustschmerzen folgen daß die früher dichten und langen Haare schon mehr als zur Hälfte ausgefallen seien. Sofort war mir klar, daß hier recht verdorbene Säfte ihr Unwesen trieben, und daß das sicherste Zeichen ihres gänzlichen Ausscheidens darin bestehe, wenn die Haare auf dem halbkahlen Schädel wieder festen Fuß faßten und in alter Stärke von Neuem weiter wüchsen.

Die Kranke wendete nach einander folgende Uebung an an: zuerst täglich das nasse Hemd, getaucht in Salzwasser oder in Wasser mit Essig gemischt; ebenso täglich lauwarme Halbbäder mit kräftiger, kalter Waschung des Oberkörpers (höchstens eine Minute). Es war Sommerszeit. So ging sie jeden Tag viel barfuß mit großem Erfolg, besonders im Morgenthau. Dieses dauerte drei .Wochen hindurch. Es folgten jetzt warme Bäder im Wechsel mit kalten, sodann der Unterwickel (die Kranke bediente sich des Sackes), in Absud von Heublumen getaucht. Die ganze Kur währte bis zu vollständiger Herstellung drei Monate. Der starke und solide Haarwuchs wies auf gründliche Heilung. Die Person hat später geheirathet und ist gesund bis zum heutigen Tage.

Ein Pfarrer, in seiner Gemeinde hochgeschätzt und geliebt, kam vom Ausland ganz entmuthigt zu mir. Er könne, so meinte er, seiner Pflicht gar nicht mehr nachkommen. Dieser Zustand, der sich in großer Traurigkeit, in Mißmuth, in Unfähigkeit zum Studiren äußerte, hatte früher schon einmal die Nachbarsgeistlichen veranlaßt, den Armen in eine Anstalt zu bringen. Daselbst verblieb er mehrere Wochen und kehrte ruhiger, aber ungeheilt in seine Heimath zurück. Er berieth mich, was doch zu thun sei, ob er die Pfarrei verlassen oder was er anfangen solle. Der Herr sah gesund, frisch und kräftig aus, was bei solchen Kranken so leicht tauscht und so viele harte, ungerechte und lieblose Urtheile veranlaßt. Wer näher zusah, konnte wohl bemerken, daß das Auge trüb die Farbe verbleicht, die Haare erstorben waren.

Die Anwendungen waren dreifacher Art: der Kopfund Fußdampf, kalte Ober- und Untergüsse, häufiges Gehen auf nassen Steinen oder in's Wasser stehen, drei bis vier Minuten lang. Nach einigen Tagen folgten warme Bäder im Wechsel mit kalten Ober- und Untergüssen. Am sechsten Tage der Wasserkur zeigte sich ein bläulicher Ausschlagaus dem Rücken. Je mehr dieser heraustrat, um so besser fühlte sich der Kranke. Als der Krankheitsstoff gänzlich ausgeleitet war, war der Pfarrer gesund. Das ganze Heilverfahren dauerte vierzehn Tage. Mit neuem Muth kehrte der seeleneifrige Priester heim in seine Gemeinde.



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7. 5. 1939
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