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Lehrbuch der Gynäkologie

Otto Küstner, 4.Auflage 1910

 

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III. ABSCHNITT.
Die Krankheiten des Uterus.

Kapitel IX.
Prolaps uteri et vaginae.
Von Otto Küstner.

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Anatomie


Zunächst nun bleibt der Vorfall nur tagsüber außerhalb der Vulva, zu derjenigen Zeit, wo der intraabdominale Druck am stärksten und schädlichsten wirkt. Des Nachts geht er meist spontan oder mit Nachhilfe seitens der Trägerin hinter die Vulva zurück. Später bleibt er auch nachts draußen, weil die herausgetretenen Teile an Volumen beträchtlich gewonnen haben, ödematös geworden sind, auf diese Weise das Zurückgehen des Vorfalls hindern, und weil die Leistungsfähigkeit der den Uterus, zwar nicht in normaler Lage, aber wenigstens noch im Becken haltenden Organe allmählich völlig erlahmt ist.

Schon bei der Retroversion etablieren sich, wie wir sahen, durch die Torsion, welche die Ligamente und die in ihnen verlaufenden Venen erfahren, Stauungsprozesse im Uterus, welche zu Hyperämie und Hypersekretion der Schleimhaut und zu ödematöser Durchfeuchtung des ganzen Organes führen. Beim Prolaps wirken dieselben Schädlichkeiten nur noch intensiver; dementsprechend sind auch die Folgezustände um so prägnanter.

Die ödematöse Durchfeuchtung des Uterus ist am bedeutendsten an der Portio und den unmittelbar darüber gelegenen Partien der Cervix. Hier wird sie schließlich zu einem chronischen Zustande, zu einer Art von Hypertrophie. Oberhalb der Portio findet man die Cervix meist außerordentlich verlängert. Bei der unter Umständen sehr beträchtlichen Verlängerung des Uteruscavums bis auf 12 und 15 cm (normal 7) ist vorwiegend, wenn nicht ausschließlich, die obere Cervixpartie beteiligt. Diese Partie aber ist nicht ödematös, nicht dick, sondern schlank, macht den Eindruck des Gedehntseins. Vielleicht ist es der Effekt von Zerrung, welche der Uterus erfährt, indem der Zug des schweren, üdematösen, außerhalb liegenden Organteiles und der seines Ligamentapparates einander entgegenwirken. HALBAN sieht in der Verlängerung des oberen Cervixsegments den Effekt des intraabdominalen Druckes.


Fig. 134. Uterus bei Frolaps; stark ödematös-hypertrophischer Cervikalteil; Cavumlänge am frischen Präparat 12 cm. Frau T., Totalexstirpation 24. April 1892. Die mitresezierten Scheidenlappen sind vom Präparat abgeschnitten; dasselbe ist gezeichnet, nachdem es 2 Tage in Spiritus gelegen hatte und etwas geschrumpft war; cf. Krankengeschichte S. 153.

In den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts vertrat HUGUIER eine Anschauung, welche die Sache umdrehte, die Cervixverlängerung und -hypertrophie für das Primäre hielt und in ihr die Ursache für den Vorfall erblickte. Diese Anschauung lenkte die Therapie in eine fehlerhafte Richtung. Man glaubte, den Vorfall nur erfolgreich und nachhaltig behandeln zu können, wenn man in erster Linie den Uterus verkürzte. Wie überflüssig diese Maßregel, wie irrig die zugrunde liegende Theorie ist, davon kann man sich durch ein sehr einfaches Experiment überzeugen. Man messe mit einer Sonde den prolabierten Uterus, reponiere ihn und halte ihn einige Tage lang reponiert, messe dann seine Länge wieder, und man wird feststellen, daß er um mehrere Zentimeter kürzer geworden ist. Schon in dieser kurzen Zeit geht ein gut Teil der Hypertrophie, weil sie eben vorwiegend Oedem und Zerrungsresultat ist, zurück.

Die wirkliche primäre Hypertrophie der Portio ist sehr selten. Sie kann die Ursache für Senkung und Prolaps abgeben, weil dadurch die Beweglichkeit des Uterus beschränkt wird. Vgl. darüber das Kapitel XII.

Nicht selten handelt es sich um einen Totalprolaps im wahren Sinne des Wortes, so daß sich in der prolabierten, invertierten Vagina der ganze Uterus befindet. Das sind die höchsten Grade der Deviation. Der Uterus liegt dann in dem Sacke, den die invertierte Vagina bildet, meist retroflektiert, seltener anteflektiert. Im letztgedachten Falle besitzt er eine so hochgradige Beweglichkeit, daß er bald vorn, bald hinten angetroffen werden kann; dann handelt es sich um pathologische, als Infantilismus aufzufassende Tiefe der Excavatio vesicouterina.

Beim Totalprolaps findet man, vom Abdomen aus gesehen, am Beckenboden das Peritoneum in einen Trichter auslaufen, sehr ähnlich dem bei Inversio uteri (vgl. das folgende Kapitel). In ein enges Loch ziehen die Ligamenta rotunda, ovarica propria und die Tuben hinein. Die Ovarien und Tubeninfmidibula selbst pflegen ebenso wie bei der Inversion oberhalb des Trichters zu liegen.


Fig. 135. Medianschnitt durch ein weibliches Becken mit vollständigem Uterusvorfall (Präparat der Sammlung der Königl. Frauenklinik zu Breslau, beschr. von SPIEGELBERG, Arch. f. Gyn. XILI). a Cystisch erweiterte linke Tube, b Ligament, lat. sinistr. eiterig infiltriert, c seitlich aufgeschnittenes Kectum, d Gefäße, e Anus, f Perineum, g prolabierte hintere Scheidenwand, h Cavum Douglasii mit fibrinösen Auflagerungen, i Cavum uteri, links getroffen, k Fundus uteri, l obliteriertes Collum uteri, m Cavum vesicouterinum mit peritonitischen Verwachsungen und Eiterherden, n prolabierte vordere Scheidenwand, o Urethra, p Cystocele. 56-jährige Frau, welche mit Peritonitis am 17. Mai 1871 in die Klinik eintrat und am 27. Mai starb. (KÜSTNER, Lageveränderungen etc. in VEITS Handbuch.)

Es ist leicht verständlich, daß die Nachbarorgane des Uterus von einer so schweren Störung, wie sie der Vorfall darstellt, in Mitleidenschaft gezogen werden.

Das Epithel der Vagina wird trocken, hornartig, da diese nicht mehr vom Cervixsekret benetzt wird. An dem untersten Teile des Prolapses bilden sich durch Scheuern der Kleider und sonstige Insulte Epitheldefekte oft beträchtlichen Umfanges, Decubitusgeschwüre (Fig. 139).

Im Becken entwickeln sich gelegentlich durch die Stabilität der Lage und die analogen ursächlichen Momente wie bei Retroflexion die analogen Prozesse der trockenen, chronischen, adhäsiven Perimetritis, wodurch das Corpus uteri mit der Nachbarschaft verklebt. Doch sind sie ebenso selten und ebenso wenig umfänglich, wie bei der Retroversio-flexio. Auch für den Prolaps gilt, daß die festen, breiten, umfänglichen Adhäsionen nicht mechanischen, sondern mikrobiotisch-entzündlichen Ursprunges sind. In diesem Falle können sie vor der Entstehung des Prolapses zustande gekommen sein.

Bedeutungsvoll ist die Mitleidenschaft der Blase und konsequenterweise der übrigen Organe des Harnapparates.

Von der Blase tritt der Teil, welcher mit der vorderen Scheiden- und Cervixwand fest verbunden ist, mit nach außen (Cystocele). Folge: unvollkommene Entleerung der Blase, Urinstauung, ammoniakalische Zersetzung des Harnstoffes, Gärung, Heizung der Blasenschleimhaut, Einwanderung von Mikroben aus der Urethra, Blasenkatarrh.

Der Blasenkatarrh ist von den Folgezuständen des Prolapses das schwerwiegendste Leiden. Er stellt sich recht häufig schon bei Prolapsus vaginae anterior ein.

Jahre jahrzehntelang kann der Katarrh auf die Blase beschrankt bleiben- in ändern Fällen aber ascendiert er, es kommt zu Ureteritis und Pyelitis. Ist erst das Nierenbecken infiziert, dann ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zum Zustandekommen einer Nephritis. Dieser Zustand doppelseitig, ist irreparabel und führt schließlich zum Tode. Die Schlußszene des gesamten Krankheitsbildes besteht in urämischen Erscheinungen. Auch Urinstauung wegen exzessiver Füllung der Blase kann gelegentlich zur Urämie führen. Doch ist dieser Ausgang selten.


Fig. 136. Sagittalschnitt durch einen partiellen Uterusprolaps. Uterus in Retroflexionsstellung, Cystocele. Die ganze vordere Vaginalwand, die Portio und ein kleiner Teil der hinteren Vaginalwand sind prolabiert.Buchstabenerklärung vgl. die folgende Figur. (Nach HALBAN und TANDLER, Anatomie und Aetiologic der Genitalprolapse, Wien 1907.)

Ich habe eine Reihe von Fällen beobachtet, wo der Tod in direkter Beziehung zu einem Prolaps stand. Er erfolgte unter den Symptomen der Urämie oder der Sepsis, in jedem Falle fand sich eine eiterige Nephritis; beide Nieren waren von Abscessen durchsetzt. In einem Falle bestand erhebliche Cystitis, in einem anderen Gangrän der Mucosa der Blase. In allen Fällen war wahrscheinlich die Infektion der Nieren nicht von den Nierenbecken aus, sondern auf dem Wege der Blutbahn erfolgt. Als Ausgangsherde kämen dann außer dem infektiösen Prozeß in den harnausscheidenden Organen auch noch die umfänglichen Decubitusulcera auf dem Vorfall selbst, für einen Fall eine zufällig bestehende Enteritis in Betracht.

Beispiel. E.T., 42 Jahre alt, hat vor 17 Jahren einmal geboren und klagt seit dieser Zeit über einen Vorfall. Bis vor kurzem konnte sie ihn sich, besonders abends, wenn sie zu Bett ging, selbst reponieren, seit etwa 2-3 Wochen gelingt es ihr nicht mehr.

Die Regel war bis dahin regelmäßig, jetzt war die letzte vor 7 Wochen.

Befund: Ungewöhnlich großer Vorfall, bedeutende Cystocele, keine Rectocele. Enormes Decubitusgeschwür. Uterus liegt ganz im Prolaps. Sonde 6 dringt auf 15 cm ein. Länge von der Urethralöffnung uis zum äußeren Muttermund mit dem Zirkel 20, mit dem Bandmaß 23 cm gemessen. Größter Umfang 36 cm. Im linken Hypogastrium ein unempfindlicher, nicht ganz faustgroßer Tumor.

Versuche, den Prolaps ohne und mit Narkose zu reponieren, sind erfolglos.

Obwohl der Urin reichlich Eiweiß und Cylinder enthält, obwohl Pat. mitunter Fiebersteigerungen bis gegen 39" hat, und obwohl zeitweise Zustände bestehen, wie sie als urämisch gedeutet werden müssen, hielt ich die Operation doch für geboten. Totalexstirpation des Uterus mit Resektion der Scheide nach FRITSCH 24.April 1892. Dabei ergibt sich, daß der Uterus in dem ausgestülpten Peritonealdivertikel total adhärent war; die Exstirpation geschah so völlig extraperitoneal. Vollständiger Erfolg. Nach 14 Tagen verläßt Pat. zeitweise das Bett. Nach einigen Wochen erfolgt der Exitus unter cerebralen Erscheinungen. Sektion ergibt Hirnödem, schwere parenchymatöse Nephritis, linksseitigen Ovarialabsceß, zahlreiche Abscesse in den Nieren.


Fig. 137. Derselbe Fall von partiellem Uterusprolaps, welcher in Fig. 136 dargestellt ist, nach Präparation des Beckenbodens. (Nach HALISAN und TANDLER, Anatomie und Aetiologie der Genitalprolapse, Wien 1907.)
Man sieht an dem Bilde sehr gut, besonders wenn man es mit Fig. 136, welche normale Verhältnisse darstellt, vergleicht, wie beim Prolaps der Arcus tendineus nach abwärts geschoben -"verbogen"- ist, wie ferner die Fasern des Musc, levator aui in ihrem vorderen Abschnitte bogenförmig lateralwärts abbiegen, und endlich, daß das Diaphragma urogenitale äußerst muskelarm ist. (Die Muskulatur unmittelbar hinter bezw. unter der Symphyse.)
O.f.t. Ost. fimbriat. tubae, P.va. Portio vaginalis, U. Urethra, U.va.p. Umschlagstelle der hinteren Vaginalwand, Va. Vagina, Va.a. vordere Vaginalwand, Ve. Blase., A.t. Arcus tendineus, C.c. Canalis cervicalis, Cy. Cystocele, L.r. Lig. rot., L.su. Lig. sacrouteriuum, M.i.c. Musculus ischiococcygeus, M.p.r. Musculus puborectalis, M.sph.a.e. Muse, sphincter aui ext.

Selbst Riesenprolapse veranlassen nicht eine Divertikelbildung der unteren, vorderen Rectumwand. Finden wir bei einem Prolaps eine Rectocele, so ist diese die Konsequenz von Narbenbildung im Bereiche eines komplizierenden Dammspaltes. Dann sind Erschwernisse bei der Defäkation die Folge. Besteht der Vorfall sehr lange, so gesellt sich mitunter noch ein Prolapsus recti dazu (Fig. 141).


Fig. 138. Präparierter Beckenboden einer Nullipara. Völlig normale Verhältnisse. (Nach HALBAN und TANDLER 1. c.) A.t. Arcus tendineus., L.a. Levator ani., L.r.c. Ligamentum recto-coccygeum., M.o. Musculus obturator internus. M.sph.a. Sphincter ani ext., D. Urethra, Va. Vagina, V.gl.s. Vasa glutaea supp., V.o. Vasa obturatoria.

Ein kompliziertes Symptombild, wie wir es bei der Retroflexion kennen lernten, bei welchem die entlegensten Bahnen des Nervensystems in Mitleidenschaft gezogen sein konnten, beobachtet man beim Prolaps selten oder nicht mehr. Es kann die initiale Retroflexion begleitet haben, hat aber mit dem Heraustreten des Vorfalles der rein lokalen, weniger lästigen Empfindung eines Drängens nach unten Platz gemacht.

Die meisten Frauen tragen ihren in jüngeren Jahren akquirierten Vorfall, ohne durch besonders schwere Erscheinungen angefochten zu sein, bis in das Greisenalter. Sie werden mit dem Vorfall gravid, der wachsende Uterus steigt alsdann in den Bauchraum hinauf - temporäre Heilung des Zustandes. Schließlich tritt die Involution, wenn auch verspätet, ein, mit ihr auch eine Verkleinerung des Vorfalles. So schweren und langdauernden Insulten dabei die bloßliegende Scheidenschleimhaut ausgesetzt ist, so ist es geradezu eine Seltenheit, daß sich Carcinombildung auf ihr entwickelt. Scheiden-, wie Portiocarcinom findet mau äußerst selten bei Prolaps.

Mitunter ist Prolaps angeboren angetroffen worden. Relativ oft war er dann mit Spina bifida kompliziert. In dieser ist dann wohl auch die zentrale Ursache für die mangelhafte Entwicklung der Haftapparate des Uterus zu suchen.





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Dieses Buch ist ein altes Fachbuch, der Inhalt entspricht nicht dem aktuellen Stand der Medizin. Angegebene Therapien entsprechen höchstens dem Stand der Medizin zum angegebenen Druckdatum. Dasselbe gilt für eine ggf. angegebene Rezeptur für ein Medikament. Diese entsprechen nicht dem heutigen Stand der Medizin und sind unter Umständen sogar körperlich schädigend. Die Zubereitung von Rezepturen und die Anwendung derselben gehört in die Hände erfahrener Ärzte und Apotheker.
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26. 4. 1829
Geburtsdatum des Chirurgen Christian A.T.B. Billroth, der sich mit den von ihm entwickelten Magenoperationen verewigte (Billroth-I- und -II-Operation). Außerdem entwickelte der operative Techniken zur Kehlkopfentfernung und transvaginalen Uterusentfernung (Hysterektomie).

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