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Lehrbuch der Gynäkologie

Otto Küstner, 4.Auflage 1910

 

III. ABSCHNITT.
Die Krankheiten des Uterus.

Kapitel X.
Inversio uteri.
Von Otto Küstner.

Seite: 1/5[ Puerpurale Inversion | Therapie | Operation | Tumor | Unfälle ]Weiter (Therapie)

Puerpurale Inversion


Inversion nennen wir denjenigen Zustand des Uterus, welchen wir für Scheide und Mastdarm schlechthin Prolaps, für den Darm Invagination nennen. Dabei ist also ein Teil des Uterus in den anderen hinein- oder das Organ ist total umgestülpt, so daß die Schleimhautfläche die Konvexität, die Peritonealfläche die Konkavität, den "Inversionstrichter" darstellt. Man unterscheidet partielle und totale Inversionen. Bei der totalen Inversion kann das invertierte Organ in der Vagina geblieben oder aus ihr herausgetreten sein (Inversion mit Prolaps). Andererseits kann es sich bei der partiellen Inversion nur um seichte Einbiegung des Fundus oder eines anderen Teiles der Uteruswand handeln.

Konsequenterweise könnte man auch nach dem Vorgange von SCHULTZE die Ektropien der untersten Cervixpartien, wie wir sie häufig nach umfänglichen Lacerationen der Portio vaginalis, wie wir sie ungleich seltener ohne solche bei starker Schleimhautschwellung infolge von Entzündung beobachten, zu den partiellen Inversionen rechnen.

Die Inversion erfolgt durch energischen Zug an der Innenfläche des Uterus; dieser Zug wird an ihr stets mittelbar ausgeübt, entweder in der Nachgeburtsperiode durch die noch fest adhärente Placenta, oder durch intrauterine Tumoren. Insoweit ist der Mechanismus für beide Entstehungsmöglichkeiten der gleiche. Klinisch lassen sich aber beide Formen der Inversion, die puerperale und die durch Tumoren erzeugte, scharf auseinanderhalten.

Die puerperale Inversion wird in den meisten Fällen durch illegalen Zug von halbkundiger Hand an der Nabelschnur erzeugt. Deshalb haben Aerzte nur selten Gelegenheit, die Affektion in statu nascendi zu sehen. Doch kommt sie auch durch den Zug des austretenden Kindes an einer kurzen (DYHRENFURTH 3 1/2 cm), oder umschlungenen Nabelschnur, bei bloßer Anwendung des Crede und auch bei völlig spontanem Austritt der Nachgeburt zustande. Die Conditio, ohne welche eine Inversion nicht zustande kommen kann, ist die Erschlaffung des Uterus, während der Zug wirkt. Kontrahiert sich der Uterus um diese Zeit, so konserviert er dadurch zugleich kraftvoll seine Gestalt, und dann kann eine Inversion nicht entstehen. Deshalb ist auch bei der "Leichengeburt", der Ausstoßung eines Kindes aus dem toten Uterus einer während der Geburt Verstorbenen, relativ häufig das Zustandekommen der Inversion des leichenschlaffen Organs beobachtet worden.

Die puerperale Inversion eines Hornes bei Uterus bicornis beobachtete HENKEL. Selten kam Inversion nach Abort zustande. Seltenheiten sind spontane Entstehung einer Inversion unabhängig vom Puerperium (und auch Tumorbildung) bei Greisinnen, die an Prolaps litten (FULLERTON, FELLENBERG), und bei einer 18-jährigen Virgo ohne jede Genitalanomalie (v. OLSHAUSEN).


Fig.146. Inversion vom Abdomen aus gesehen. Man sieht den Inversionstrichter, in welchen hinein die Tuben und die Ligamenta ovariorum ziehen. Vorn (unten im Bild) Blase, hinten (oben im Bild) Mastdarm mit der DOUGLASschen Tasche. Fr. L.L., 35 Jahre alt, menstruiert seit dem 17. Lebensjahre, hat 5mal geboren, das letzte Mal vor 4 Jahren. Unmittelbar nach der Geburt des letzten Kindes sehr heftige Blutung aus den Genitalien; darauf sei die Hebamme mit der Hand in die Scheide eingegangen, habe an der Nabelschnur stark gezogen; plötzlich habe Pat. einen heftigen Schmerz im Leibe gefühlt, zugleich sei mit der Nachgeburt eine große Geschwulst vor die Genitalien vorgefallen. Obschon die Nachgeburt entfernt und der Versuch von seilen der Hebamme gemacht wurde, die Geschwulst zurückzubringen, stand die Blutung nicht. Pat. wurde schließlich ohnmächtig. Spätere Reinversionsversuche, vom Arzte vorgenommen, ohne Erfolg, auch stand die Blutung nicht. Nach 6 Wochen wurden die Blutungen geringer. Doch leidet seitdem Pat an periodischen, alle 2 Wochen auftretenden und 6 Tage anhaltenden Blutungen, außer der Zeit an starkem schleimigen Ausfluß. Seit einigen Monaten Husten mit kopiösem Auswurf, Neigung zu Diarrhöen. Aeußerst anämische, elende, magere Kranke. Iversio uteri, Schleimhaut des Uterus zum größten Teil abgeschunden. Uterusinnenfläche sezerniert Eiter. Sehr verbreitete Bronchitis, keine Tuberkelbacillen im Auswurf. 16.Aug. 1888 in Narkose Versuch gewaltsamer Reinversion: Hakenzange an die Portio, energische, manuelle Kompression des invertierten Uterus erfolglos. Temp. am Abend 40,7, Puls 108, heftige Leibschmerzen. Karbolirrigationen der Vagina. 20.Aug. Stark gefüllter Kolpeurynter in die Vagina. Von jetzt an wird fast kontinuierlich die Kolpeuryse fortgesetzt, nur zeitweise das Instrument behufs Reinigung entfernt. 31.Aug. Kolpeuryse hat sich als absolut erfolglos erwiesen. Narkose. Reinversionsversuch wie am 16. Aug. ohne Resultat. Kolpeuryse bis zum 5. Sept. wieder resultatlos. Deshalb am 8. Sept. Laparotomie. Gewaltsame Dehnung des Inversions­trichters mit den Fingern, dann mit der Schnabelsperre. Auch danach ist die Reinversion unmöglich. Schluß des Abdomens. Amputation des invertierten Corpus uteri von der Scheide aus. Vernähung des Uterusstumpfes. Tod am 11.Sept. Septische Peritonitis. Eiterige Bronchitis. Vielleicht ist die Infektion von einer schon vor der Laparotomie bestehenden eiterigen Salpingitis ausgegangen.

Das sinnfälligste Symptom unmittelbar nach dem Entstehen der Inversion ist neben einem schweren Kollaps eine meist bedeutende Blutung; ihr erliegt eine beträchtliche Quote der Kranken. (Von 100 von VOGEL aus der Literatur zusammengestellten Fällen 23, davon 19 schon wenige Stunden nach der Geburt.) Anderenfalls wird die Metrorrhagie in den nächsten Tagen des Puerperiums allmählich geringer, der Zustand weniger beängstigend. Die Involution der nicht dislozierten Cervixpartie geht, soweit es der durchgetretene Uteruskörper erlaubt, in normalem Tempo von statten, die des eingeschnürten Corpus uteri dagegen bleibt wesentlich zurück, die Einschnürung der Cervix bedingt Stauung und Oedem, und je weiter die Kranke sich von der Katastrophe entfernt, um so bedeutender wird das Mißverhältnis zwischen der Enge des erhalten gebliebenen Stückes Cervixkanal und der Dicke des invertierten Corpus uteri. Die Metrorrhagien dauern kontinuierlich fort, und schließlich kommt die Kranke, bis zum letzten Tropfen ausgeblutet, zum Fachmann. Seltener ist es, daß die Blutungen allmählich geringer werden und daß bei hochgradiger Indolenz das Leiden jahrelang getragen wird.

Die Diagnose läßt sich auf Grund der Anamnese bereits vermuten, sicherstellen durch sorgfältige bimanuelle Untersuchung, durch den von den Bauchdecken aus mit der tastenden Hand erbrachten Nachweis des Inversionstrichters. Neben diesem wulstigen Ringe sind meist die Ovarien zu fühlen. Der vaginale Tastbefund erweist einen einem myomatösen Polypen in Form und Konsistenz gleichenden Körper, welcher aus dem äußeren Muttermund herausragt; die Schleimhaut ist an einigen Stellen vorhanden, hyperämisch und sukkulent, an anderen ist sie der Nekrose verfallen, daselbst liegt die Muscularis frei. Jede Untersuchung ist von Blutung begleitet.


Fig.147. Inversio uteri puerperalis inveterata. Das geschwollene Corpus liegt in der Scheide, am Rande des Inversionstrichters das linke Ovarium und der linke Tubcntrichter. Frau R. S., 19 Jahre alt, hat die puerperale Inversion seit 4 Monaten, seit ihrer ersten Geburt, bei welcher die Nachgeburt von unkundiger Hand an der Nabelschnur herausgezogen wurde. Nach vielen vergeblichen Reinversionsversuchen blutige Reinversion nach KÜSTNERs Methode.





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Dieses Buch ist ein altes Fachbuch, der Inhalt entspricht nicht dem aktuellen Stand der Medizin. Angegebene Therapien entsprechen höchstens dem Stand der Medizin zum angegebenen Druckdatum. Dasselbe gilt für eine ggf. angegebene Rezeptur für ein Medikament. Diese entsprechen nicht dem heutigen Stand der Medizin und sind unter Umständen sogar körperlich schädigend. Die Zubereitung von Rezepturen und die Anwendung derselben gehört in die Hände erfahrener Ärzte und Apotheker.
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13. 10. 1821
Rudolf Virchow (1821–1902) wird als Sohn eines Metzgers geboren. Mit 26 Jahren habilitiert er und tritt eine Professur in Würzburg an. Er gilt aufgrund seiner Arbeit als Pathologe als Mitbegründer der modernen Physiologie.

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