I. Klinische Untersuchung: DD
Zunächst bedarf es der Feststellung, ob die fragliche Anschwellung einer Neubildung entspricht oder nicht. Sehr viele Unterleibstumoren sind cystisch, bestehen zum überwiegend größten Teile aus Flüssigkeit. Es ist also zunächst zu unterscheiden, ob die Flüssigkeit frei im Peritoneum (Ascites) oder abgesackt ist. Darüber gibt die Inspektion schon Anhaltspunkte, die Perkussion meist sicheren Aufschluß:
Bei freier Flüssigkeit erscheint in der Rückenlage der Bauch immer mehr weniger flach, bei cystischem Tumor auch in der Rückenlage prominent, mehr weniger als Spitzbauch.
Der freie Ascites läßt die Fluktuation meist mit größerer Deutlichkeit zur Tastwahrnehmung gelangen, als eine abgesackte Flüssigkeit. Bei Ascites nimmt man die Fluktuation auch an Stellen wahr, welche perkutorisch Darmton aufweisen, bei einer abgesackten Flüssigkeit nicht. Die freie Flüssigkeit, der Ascites sinkt bei jeder Lage der Kranken an die tiefsten Stellen und läßt die Dünndärme oben auf dem Spiegel schwimmen. Ein Kystom liegt, wenn es sehr groß ist, der vorderen Bauchwand an. Man kann an den höchsten Stellen des Leibes in der Rückenlage Dämpfung, an den tiefsten, ausgehend von den dahingedrängten Dünndarmschlingen und von dem so wie so dort liegenden Colon ascendens und descendens, Darmton nachweisen.
So prägnant sind nun die Perkussionsunterschiede nicht immer. Bei sehr bedeutender Flüssigkeitsansammlung im freien Abdomen kann sich auf den höchsten Stellen, also bei der in Rückenlage befindlichen Kranken in der Gegend des Nabels, kein Darmton finden: dann ist das Mesenterium relativ zu kurz, als daß es die Dünndarmschlingen bis an die Oberfläche des Flüssigkeitsspiegels schwimmen lassen könnte. Denselben irreführenden Perkussionsbefund kann schon bei mäßigem Ascites absolute Verkürzung des Mesenteriums, wie man sie bei Tuberkulose und bei Carcinose des Peritoneums antrifft, bewirken.
Ist die Diagnose auf cystischen oder soliden Tumor gestellt, so handelt es sich um die Provenienz desselben. Das Spezielle findet sich in den Kapiteln über Uterus- und Ovarialneubildungen. Hier sei nur folgendes gesagt:
Sind die Tumoren noch relativ klein, überschreiten sie die Größe eines Manneskopfes nicht, so füllen sie noch nicht das ganze Abdomen und lassen diejenigen Abschnitte desselben frei, welche am fernsten von ihren Ursprungsorganen liegen. Ein mäßig großer Nierentumor liegt im rechten oder linken Mesogastrium, ein mäßig großer Leber- und Gallenblasentumor im rechten Epi- und Mesogastrium, sie lassen die unteren Abdominalpartien frei usw.
Sobald die Tumoren jedoch sehr groß sind, füllen sie den größten Teil des Abdomens, drängen die perkutorisch und palpatorisch sonst leicht abzugrenzenden Intestinalpartien unter das Zwerchfell und nach hinten, wölben die Bauchdecken vor und liegen diesen vorn meist völlig an. Das trifft für die sehr großen Tumoren aller Abdominalorgane zu, der Leber, der Gallenblase, der Milz, der Nieren, des retroperitonealen Fett- resp. Bindegewebes, der inneren Genitalien. Der Gynäkologe hat die Aufgabe, die Differentialdiagnose der Tumoren der Genitalien und solcher anderer Organe zu stellen.
Fig.317. Enormer Hydrops vesicae felleae. Frau A. S., 63 Jahre alt. K.-J. 1899/1900 N. 175. Operation 22. April 1899, geheilt. Tastbild.
Fig.318. Umfängliche rechtsseitige Hydronephrose bei Ren mobilis. Frau H., 26. Jan. 1900. Im Epigastrium sind die Rippenbogen, der untere Leberrand, gleich darunter das Colon ascendens (punktiert) und diesem anliegend der Nierentumor, im Hypogastrium ebenso, wie in Fig. 317, die normal liegenden Ovarien und Uterus angedeutet.
Alle großen, nicht von den inneren Genitalien ausgehenden Tumoren pflegen das Becken gänzlich, auch in den oberen Abschnitten, frei zu lassen. Es ist relativ selten, daß einmal ein Nieren-, ein Milztumor bis in den Beckeneingang hinabreicht. Ja man gewahrt meist, selbst bei beträchtlicher Größe, oberhalb der Symphyse eine perkutorisch nachweisbare Darmzone. Je kleiner die Tumoren um so größer diese. Die Nierentumoren drängen den ganzen Darm, stets das Colon der entsprechenden Seite vor sich her, bei ihnen weist also die Perkussion gedämpften Schall in der entsprechenden Seite bis hinten hinauf. Die Milztumoren, Neubildungen sowie leukämische Intumeszenzen repräsentieren oft unverkennbar die plattschalige Form des nicht vergrößerten Organes. Oft sind auch einige charakteristische Incisuren durch Palpation zu erkennen. Die Gallenblasentumoren reichen selten bis in die untere Bauchregion; doch sah ich solche, welche das Abdomen über 100 cm Umfang aufgetrieben hatten.
Recht vorteilhaft läßt sich das topische Verhältnis aller Abdominaltumoren zum Dickdarm durch dessen Aufblähung zum Ausdruck bringen. Man führt einen an einem Gebläse befindlichen Gummischlauch hoch in das Rectum bezw. die Flexur ein und pumpt Luft hinein. Eventuell ist die erforderliche Leere vorher durch Klysma zu bewirken. Die Konturen des ganzen Colons markieren sich dann deutlich hinter den Bauchdecken. Dieses Verfahren wirkt oft außerordentlich klärend und ist bei Schwierigkeiten der Diagnose nie zu unterlassen.
Diejenige Methode jedoch, welche mit recht großer Sicherheit den Ausweis über den gewebliehen Zusammenhang eines Tumors mit den Genitalien oder das Gegenteil erbringt, ist das SCHULTZEsche Verfahren:
Man hakt die Portio mit einer Zange an und läßt, während man diese nach unten zieht, von einem Assistenten den Tumor hart über dem Beckeneingang mit 2 Händen umfassen und abwechselnd nach oben, nach der einen und nach der anderen Seite bewegen. Hängt der Tumor breit und fest mit dem Uterus zusammen, handelt es sich um eine Geschwulst dieses Organs, so setzen sich die Bewegungen, welche der Assistent dem Tumor erteilt, mit außerordentlicher Deutlichkeit auf die Hakenzange fort, man kann sie an der Zange sehen, diese wird in die Scheide mitunter tief hinein gezogen. Naturgemäß ist das nicht nur der Fall, wenn der Tumor vom Uterus entspringt, sondern auch dann, wenn er mit ihm sekundär, also durch entzündliche Verlötung, breit verbacken ist.
Fig.319. Leukämischer Milztumor der E.K., 22 Jahre alt. K. menstruiert seit ihrem 16. Lebensjahre, hat nie geboren, war stets gesund, verlor vor 8 Monaten die Periode und beobachtet seit dieser Zeit ein Stärkerwerden des Leibes.
Fig.320. Tumor malignus (Carcinoma) flexurae sigvmoideae. Der Ausschluß der Provenienz des Tumors vom Ovarium wurde durch die Tastbarkeit desselben darunter erbracht. Die Laparotomie bestätigte die Diagnose. Frau Q., 38 Jahre alt, hat 2mal, zuletzt vor 3 Jahren, geboren, bemerkt Tumoren im Abdomen seit einigen Monaten; bei der ersten Untersuchung waren es 4, 3 sind bei der Laparotomie nicht mehr zu finden (Skybala).
Aeußerst prägnant kann durch dieses Verfahren der Zusammenhang eines Tumors mit den Beckenorganen in den Fällen zur Anschauung gebracht werden, wo der Tumor mit dem Peritoneum des DOUGLASschen Baumes und des Rectums verlötet ist. Ein Anziehen des Tumors nach oben läßt die ganze Anal- und Perinealpartie in das Becken hineingehen.
Handelt es sich um einen freibeweglichen Tumor der Ovarien oder Parovarien, so überträgt sich gewöhnlich der vom Assistenten an diesem ausgeübte Zug nicht mit dieser Präzision auf den Uterus, resp. die Portiozange. Es wird nur eine Spannung des oft langen und dehnbaren Geschwulststieles erzeugt, welche jedoch meist deutlich vom Rectum aus, weniger deutlich von dem entsprechenden Scheidengewölbe aus wahrgenommen wird.
Ist der Uterus vergrößert, durch Myome oder durch Gravidität, so kann man vom Rectum aus nicht über den Fundus greifen. Bei einer mäßigen Vergrößerung fühlt man dann an der Stelle, wo man mit 2 Fingern vom Rectum aus den Uterus bestreicht, beim Anziehen des Ovarialtumors eine Bewegung im Sinne einer Torsion, welche man unschwer als den Zug an der Kante des Uterus deuten kann.
Bei bedeutender Vergrößerung des Uterus jedoch läßt dieses Verfahren im Stich; dann muß man schon zufrieden sein, wenn man einen von den Bauchdecken aus dem Tumor mitgeteilten Zug in irgendwelcher Weise an den von dem Rectum aus getasteten Teilen des Uterus wahrnimmt. Ist diese Wahrnehmung undeutlich, so ist wenigstens so viel sicher, daß der fragliche Tumor kein Uterustumor ist.
So zuverlässig dieses diagnostische Verfahren ist, so ist es doch nicht unfehlbar. Ich bin selbst Zeuge gewesen, wo ein großes retroperitoneales Lipom, welches mit der Tube eine breite Adhäsion eingegangen hatte, das täuschende Tastphänomen, als ob es sich um Ovarialtumor handle, abgab; bei mehreren ebensolchen, später von mir operierten Fällen bestand dasselbe Tastbild, dasselbe bei einem Netzlipom, wegen der Adhäsionen, welche zwischen ihm und den Beckenorganen bestanden, dasselbe gelegentlich sogar bei abgesackten peritonitischen Exsudaten.
Fig.321. Carcinoma coli descendentis. Frau S., 53 Jahre alt, hat 3mal, zuletzt vor 24 Jahren, geboren. Menostase seit 8 Wochen, Schmerzen in der linken Seite, meist Diarrhöe, oft bandförmiger Stuhlgang. Ovarien so klein, daß sie zwischen Tumor und Uterus nicht fühlbar sind, obwohl diese Partie sehr gut abtastbar. (12. Mai 1898.)
Fig.322. Bauchdeckenfibrom, ungewöhnlich, extramedian gelegen. Frau F., 22 Jahre alt, hat 2mal geboren, zuletzt vor 8 Monaten. Die Anschwellung will Patientin seit etwa einem Jahre beobachten. (Op. 4. Juli 1898.)
|
|