I. Klinische Untersuchung: Spekulum
Die Inspektion mit dem Spekulum ist, wenigstens soweit nur das Röhrenspekulum zur Verwendung kommt, für den geübten Explorator häufig fast überflüssig. Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, daß derselbe mit dem tastenden Finger über Beschaffenheit der Portio, des äußeren Muttermundes, der Schleimhaut daselbst, der Scheidenoberfläche sich besser informiert. Der weniger Geübte kann jedoch die vaginale Inspektion nicht entbehren. Die meist angewandten Spekula sind die MAYERschen schräg abgeschnittenen Milchglasspekula in 3 bis 4 verschiedenen Kalibern.
Fig.329. Selbsthaltendes zweiblätteriges Spekulum nach Cusco. Fig.330. Selbsthaltendes zweiblätteriges Spekulum nach Neugebauer. Fig. 331. Rinnenförmiges Scheidenspekulum nach Simon für die hintere Wand. 1/3 nat. Gr. Fig. 332. Rinnenförmiges Scheidenspekulum nach Simon für die vordere Wand. 1/3 nat. Gr.
Ein ausgezeichnetes, sehr vollkommenes Bild von der gesamten Vaginalinnenfläche gewinnen wir durch die Anwendung SIMSscher oder SiMONscher Spekula, wundhakenartiger Instrumente, durch welche die Vaginalwände auseinandergehalten werden.
Verfügt man über Assistenz, so läßt man sich mittels zweier SiMONscher Spekula die Vagina auseinanderhalten; dazu liegt die Kranke auf einem Untersuchungsstuhl. Anderenfalls braucht man für die Spekulierung in Knieellenbogenlage nur ein Spekulum dieser Art, um die hintere Scheidenwand zu heben; die übrigen Scheidenwandungen werden durch den in dieser Lage den intravaginalen Druck besiegenden Atmosphärendruck entfaltet. Auf diese Weise gewinnt man in die Vagina bis zur Portio vaginalis einen Einblick, wie er durch keine andere Untersuchungsmethode ersetzt werden kann.
Jede gynäkologische Untersuchung, sie sei einfach oder kompliziert, muß mit weicher, damit will ich sagen, mit zart tastender Hand ausgeführt werden. Es ist gewiß nicht schön, wenn bei der bloßen Untersuchung die Kranke Ach und Weh schreit, wenn sie nach einer bloßen Untersuchung noch wochenlang grüne und blaue Flecke auf ihrem Abdomen herumträgt. Aber es sind nicht nur kosmetische Rücksichten, nicht nur das Zartgefühl, welches jeder Mensch, ganz besonders aber der Kranke, beanspruchen darf, was diese Forderung gebieterisch stellt, sondern ein schwerer wiegender Grund:
Fig.333. Punktionsspritze mit 2 Kanülen, zur diagnostischen Punktion von Exsudattumoren des Beckens von der Scheide aus, nach Küstner. 2/8 nat. Gr.
Sehr viele Genitalleiden der Frau sind entzündlicher Natur. Aber auch Erkrankungen anderer Art, Lageabweichungen, Neoplasmen, sind oft mit Entzündungen kompliziert. Tumoren, welche von den Generationsorganen ausgehen, sind häufig leicht verletzbar. Wird nun auch in manchen Fällen eine rohe Untersuchung von Seiten der Kranken nicht mit schweren Folgen bezahlt, so ist das bei anderen nicht der Fall. Die Exazerbation, welche durch eine zu massive Betastung einer Pyosalpinx, eines eiterigen perimetritischen Exsudates hervorgerufen wird, die Ruptur eines extrauterinen Fruchtsackes, einer Hämatocele oder einer Ovarialcyste, die Abreißung eines morschen torquierten Ovarialtumorstieles sind schwere Schädigungen, welche in manchen Fällen nur durch sofort vorgenommenen operativen Eingriff, manchmal aber überhaupt nicht ausgeglichen werden können. Die Diagnose muß doch wenigstens ungefährlich sein!
Illustrativ wirke folgender Fall: Frau M., 50 Jahre alt, weist einen umfänglichen cystischen Abdominaltumor auf (K.-J. 1895/6, N. 180). Bei nicht genügend schonender Palpation seitens eines weniger Geübten platzt der als Ovarialcyste erkannte Tumor. Ich mache sofort die Laparotomie. Dabei erweist sich der jetzt das ganze Abdomen füllende Cysteninhalt als Streptokokkenreinkultur. Entfernung des geborstenen linksseitigen Ovarialkystoms und des ausgelaufenen Cysteninhalts. Operation einfach. Sofort einsetzende, schwerste peritoneale Intoxikation. Schon eine Stunde nach der Operation ist die Herztätigkeit so schlecht, daß der Radialpuls nicht mehr fühlbar ist. Tod nach 12 Stunden. Autopsie erweist keine Organveränderung; gute Herzmuskulatur.
Dieser funeste Ausgang steht in meiner Erfahrung vereinzelt da. Gelegentlich habe ich gesehen, daß jüngere, noch unerfahrene Kollegen oder Praktikanten bei der Palpation oder bei Anwendung des oben beschriebenen SCHULTZEschen Verfahrens Verletzungen der explorierten Affektionen, Zersprengung von Cystenwänden, von Hämatocelen, von extrauterinen Fruchtsäcken, Anreißen von Tumorstielen machten. Das Bestreben, alles nur denkbar Mögliche wahrnehmen zu wollen, führt bei dem noch Ungeübten leicht zu einer zu massiven Anwendung der palpatorischen Explorationsmethoden. Auf Grund dieser Erfahrung ist es an meiner Klinik Gesetz, daß leicht verletzliche Affektionen, dazu gehören in erster Reihe die Tubengraviditäten, unmittelbar nach der klinischen Vorstellung operiert werden; so bin ich in der Lage, eventuellen, durch schülerhafte Ungewandtheit gesetzten Gefahren rechtzeitig vorzubeugen.
|
|